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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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zum
     Ausgang drängen.
    Und Punkt 3:12 Uhr schließt das Glückliche Moskowien unweigerlich seine
     Pforten, um sie selbigen Tages um 18:00 Uhr abermals zu öffnen: Herzlich willkommen,
     liebe Gäste!

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    DIE SCHLANGE
    – Wer ist der Letzte, ihr guten Leute?
    – Das werd wohl ich sein. Aber hinter mir kommt noch eine
     Frau im blauen Pelzmantel.
    – Dann steh ich also hinter ihr?
    – Das nehm ich an. Stell dich ruhig hinter mich, mein
     Bester.
    – Bleiben Sie hier?
    – Was dachten Sie!
    – Ich müsste noch mal auf einen Sprung weg, bloß für ein
     Minütchen …
    – Wart erst mal ab, bis sie kommt, dann geh in Gottes
     Namen, wohin du möchtest. Das wäre sonst hier ein einziges Kommen und Gehen, und ich
     muss mir die Zunge verrenken, um es den Leuten zu erklären. Warte. Sie wollte gleich
     wiederkommen. Ist nur um die Ecke, in irgendeinen Laden.
    – Na gut, wenn es sein muss. Wart ich eben so lange.
     Stehen Sie denn schon lange an?
    – Halbes Stündchen vielleicht.
    – Und wissen Sie zufällig, wie viel jeder kriegt?
    – Nein, verd… Gott, verzeih mir, dass ich fluche. Ich hab
     gar nicht gefragt. He, Spitzbart, hast du eine Ahnung, wie viele sie rausrücken?
    – Nein, heute weiß ich nicht. Gestern soll’s zwei pro Nase
     gegeben haben.
    – Zwei, sagst du?
    – Ja. Donnerstag drei, gestern zwei.
    – Das ist nicht viel. Da lohnt das Anstehen nicht.
    – Dann stell dich einfach hinterher noch mal an. Manche
     hier, die wo von weiter herkommen, stellen sich dreimal an.
    – Dreimal??
    – Aber ja.
    – Da steht man ja den ganzen Tag!
    – Nicht doch. Der Verkauf geht schnell.
    – Sieht mir nicht so aus. Keinen Schritt sind wir
     weitergerückt, seit wir hier stehen.
    – Das kommt, weil die dazukommen, die noch mal weg waren.
     Darum geht es nicht vorwärts … Da kommt die Frau.
    – Ich hatte hinter Ihnen gestanden?
    – Genau, meine Dame. Der junge Mann kommt nach Ihnen.
    – So ist es.
    – Na fein. Sind wir denn wenigstens vorangekommen?
    – Nicht sonderlich weit, wie es aussieht.
    – Ich frage mich, ob wir bis zwei dran gewesen sind.
    – Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
    – Ich hab nur bis zur Mittagspause freibekommen … Mein
     Gott, wieso dieser Andrang?
    – Na, wenn es Kremlstückwerk gibt …
    – Stimmt auch wieder.
    – So ein Geschenk gibt’s nur einmal im Jahr … Einen
     schönen Pelzmantel haben Sie an.
    – Danke.
    – Solche Mäntel hab ich in Moskau gesehen. Lebendgebärende
     sind ja eigentlich meist heller, nicht wahr? So ein schönes dunkles Blau. Höchst
     ungewöhnlich.
    – Den Mantel hat man mir in Moskau besorgt.
    – Dacht ich mir’s doch … Und Schnee frisst er auch ganz
     ordentlich!
    – Das macht er immer, wenn er ausgehungert ist von der Wärme.
    – Was mag so ein blauer Mantel lieber, Regen oder Schnee?
    – Schnee natürlich. Sehen Sie nur, wie er sich reckt und
     streckt … Friss, mein Lieber, friss dich satt.
    – Soviel ich weiß, sind die lebendgebärenden Pelze auch
     auf Regen ziemlich scharf. Aber bei der Farbe …
    – Meiner mag am liebsten Schnee. Und sobald er satt ist,
     wird es warm. Wenn es kräftig schneit, fange ich an zu schwitzen!
    – Ein hübscher Mantel, fürwahr. Nur die Trägerin ist noch
     hübscher.
    – Machen Sie halblang.
    – Ihre Augen haben dieselbe Farbe wie der Pelz. Sind es
     die eigenen?
    – Nein. Enttäuscht Sie das?
    – Überhaupt nicht. Sagen Sie, kann es sein, dass wir uns
     neulich zur Butterwoche in Wjatka begegnet sind?
    – Nein. In Wjatka war ich zuletzt im Dezember.
    – Ach? Das waren nicht Sie, in der Kirche ganz rechts? Vor
     der Heiligen Paraskewa? Und bei der Verteidigung der Schneeburg waren Sie nicht
     dabei?
    – Sie machen Witze. Wir haben hier unsere eigene
     Schneeburg.
    – Warum lachen Sie? Ich war mir sicher, Sie in Wjatka
     gesehen zu haben.
    – Zur Butterwoche waren mein Mann und ich in Glasow, eine
     Tante besuchen.
    – Was wollten Sie denn in dieser Einöde?
    – Schweinebraten essen. Die Tante hat sechsunddreißig
     Schweine.
    – Hoi. Das ist ja eine feine Tante, die Sie da haben. Auf
     eignem Grund? Fronleute?
    – Nein, nein, Onkel und Tante leisten keine Fron.
    – Zinsbauern demnach?
    – Jawohl. Das ist günstiger.
    – Natürlich. Die haben es leichter als Fronleute. Und,
     sind Sie zu Ihrem Schweinebraten gekommen?
    – O ja. Die Tante hat chinesische Schweine, die geben ein
     marmoriertes Fleisch, chuai-dalishi, das schmeckt fantastisch. Ich hab zwölf Pfund
    

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