Der Zuckerkreml
Kanone, drückte mit aller Kraft. Schwer war die Große Kanone des Imperators, doch
Arinas Gier und Ingrimm waren stärker: Die Kanone wankte und kippte. Der kleine
Stammhalter kam aus dem Rohr gerutscht, sprang auf die Füße und wollte davon. Doch
nach fünf Schrittchen war die Flucht zu Ende. Arinas scharfe Klaue schlug zu,
zerschmetterte die Wirbel, er stürzte. Und klack!, schlossen sich Arinas Hauer um
den warmen kleinen Hals. Nur noch ein Röcheln entwich der Kehle des Stammhalters.
Bebend vor Glück und Verlangen, begann Arina den Stammhalter aufzufressen. Köpfte
ihn wie ein Ei. Knochen knirschten, wertloses Blut spritzte auf den Asphalt. Hastig
schlang Arina das warme Fleisch, dass es kollerteim Wanst. Bäche
von Tränen liefen ihr aus den Augen vor Glück und Befriedigung, Arina konnte gar
nichts mehr sehen. Doch sie roch und sie schmeckte die duftigen jungen Knorpel, das
zarte Gekröse, die blasige Wärme des kleinen Herzes …
Rülpsend wühlte Arina zuletzt mit der Nase in dem, was vom
Statthalter übrig war: zerfetzte Höschen in einer Lache von dampfendem Blut. Aber
etwas steckte noch in dieser Hose. Schwer im Rausch vom vielen, hastigen Schlingen,
fetzte sie mit den Klauen an den Hosen herum, blinzelte, starrte: Zwischen den
Fetzen lag da ein weißer Brocken. Geruch unbekannt. Süß! Arina schaute näher hin,
und ihr fiel auf, dass der Brocken aussah wie der weiße Turm, aus dem das Geläute
gedrungen war. Sogar das Vögelchen mit den zwei Köpfen obenauf stimmte überein.
Arina fuhr mit der Zunge über das kleine Ebenbild. Es schmeckte süß. Doch war das
nicht die Süße von dampfendem Blut, nein: Das hier war anders, war neu. Arina
schnappte danach, bis sie es zwischen den Zähnen fühlte. Es knirschte. Arina
schluckte, leckte sich die Lefzen. Dann wollte sie loslaufen und wusste nach dem
ersten Schritt: Sie hatte sich überfressen. War kaum noch zu gehen imstande. Der
Fleischrausch hatte ihre Sinne betäubt … Und da kam auch schon der Alte getrabt.
Witternd. Leckte das Blut vom Bordstein, reckte Arina die Schnauze entgegen. Seine
Augen bettelten um Fleisch. Sie war sich unschlüssig, ob sie dem Alten eine
Kleinigkeit auswürgen sollte. Ach nein, doch lieber nicht. Schade um das schöne
Fleisch …
Arina schlug die Augen auf. Sah das Gesicht des Alten vor
sich im Profil. Mit geschlossenen Augen lag der Alte rücklings auf dem Beton und
schnarchte. Arina hob den Kopf. Ringsumher saßen oder lagen Menschen und schienen
gerade zu erwachen. Sie glotzte sie an. Der Altehustete und
stöhnte, begann sich ächzend zu erheben. Der Bärtige schrie auf und zuckte im
Schlaf, bevor er keuchend erwachte und zu schimpfen begann. Auch Nadeschda
berappelte sich brummelnd.
Arina gewahrte sich seitlich verkrümmt auf dem Boden
liegend, die Stellung war unbequem. Sie setzte sich auf, streckte sich. Ihr Kopf war
schwer, im Mund ein unangenehmer Geschmack, es schwindelte sie ein wenig. Einer nach
dem anderen erhoben sich die Leute und gingen weg. Man sprach nicht miteinander,
Arina fühlte sich scheel angeblickt. Kaum stand sie auf den Füßen, verzog sie das
Gesicht: Ihr rechtes Bein schien vollkommen taub. Sie humpelte zur Wand, lehnte sich
an. Der Alte setzte sich hustend auf. Das Mädchen, das ihn hergebracht hatte, saß
schon neben ihm, kämmte sich das lange Haar. Dann half sie dem alten Mann
aufzustehen. Auf die Krücke und das Mädchen gestützt, kam er auf die Füße. Musste
wieder husten, spuckte auf den Boden. Arina löste sich von der Wand und humpelte zum
Ausgang. Der Kopf war leer und schwer, doch die Seele davon unbenommen ruhig und
leicht. Arina verließ den Dachboden, lief die Treppe hinab zu den Fahrstühlen. Dort
standen ein paar von denen, die auf dem Boden gewesen waren, und warteten; manche
waren auch schon zu Fuß nach unten unterwegs. Keiner sagte etwas, auch Arina schwieg
und hatte keine Lust zu reden. Dem Fahrstuhl am nächsten, die Stirn anlehnend, stand
die Alte mit dem Wackelkopf. Die Fahrstühle trafen gleichzeitig ein, die Leute
drängten hinein, bis die Kabinen gedrängt voll waren. Die Fahrstühle fuhren davon,
Arina blieb allein zurück. Von oben kam der alte Mann, auf seine Krücke gestützt und
auf den Arm des Mädchens. Als er endlich vor Arina stand, kam der Fahrstuhl wieder.
Der Alte und das Mädchen sowie Arina traten ein, das Mädchen drückte den
Parterreknopf.
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