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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Kanone, drückte mit aller Kraft. Schwer war die Große Kanone des Imperators, doch
     Arinas Gier und Ingrimm waren stärker: Die Kanone wankte und kippte. Der kleine
     Stammhalter kam aus dem Rohr gerutscht, sprang auf die Füße und wollte davon. Doch
     nach fünf Schrittchen war die Flucht zu Ende. Arinas scharfe Klaue schlug zu,
     zerschmetterte die Wirbel, er stürzte. Und klack!, schlossen sich Arinas Hauer um
     den warmen kleinen Hals. Nur noch ein Röcheln entwich der Kehle des Stammhalters.
     Bebend vor Glück und Verlangen, begann Arina den Stammhalter aufzufressen. Köpfte
     ihn wie ein Ei. Knochen knirschten, wertloses Blut spritzte auf den Asphalt. Hastig
     schlang Arina das warme Fleisch, dass es kollerteim Wanst. Bäche
     von Tränen liefen ihr aus den Augen vor Glück und Befriedigung, Arina konnte gar
     nichts mehr sehen. Doch sie roch und sie schmeckte die duftigen jungen Knorpel, das
     zarte Gekröse, die blasige Wärme des kleinen Herzes …
    Rülpsend wühlte Arina zuletzt mit der Nase in dem, was vom
     Statthalter übrig war: zerfetzte Höschen in einer Lache von dampfendem Blut. Aber
     etwas steckte noch in dieser Hose. Schwer im Rausch vom vielen, hastigen Schlingen,
     fetzte sie mit den Klauen an den Hosen herum, blinzelte, starrte: Zwischen den
     Fetzen lag da ein weißer Brocken. Geruch unbekannt. Süß! Arina schaute näher hin,
     und ihr fiel auf, dass der Brocken aussah wie der weiße Turm, aus dem das Geläute
     gedrungen war. Sogar das Vögelchen mit den zwei Köpfen obenauf stimmte überein.
     Arina fuhr mit der Zunge über das kleine Ebenbild. Es schmeckte süß. Doch war das
     nicht die Süße von dampfendem Blut, nein: Das hier war anders, war neu. Arina
     schnappte danach, bis sie es zwischen den Zähnen fühlte. Es knirschte. Arina
     schluckte, leckte sich die Lefzen. Dann wollte sie loslaufen und wusste nach dem
     ersten Schritt: Sie hatte sich überfressen. War kaum noch zu gehen imstande. Der
     Fleischrausch hatte ihre Sinne betäubt … Und da kam auch schon der Alte getrabt.
     Witternd. Leckte das Blut vom Bordstein, reckte Arina die Schnauze entgegen. Seine
     Augen bettelten um Fleisch. Sie war sich unschlüssig, ob sie dem Alten eine
     Kleinigkeit auswürgen sollte. Ach nein, doch lieber nicht. Schade um das schöne
     Fleisch …
    Arina schlug die Augen auf. Sah das Gesicht des Alten vor
     sich im Profil. Mit geschlossenen Augen lag der Alte rücklings auf dem Beton und
     schnarchte. Arina hob den Kopf. Ringsumher saßen oder lagen Menschen und schienen
     gerade zu erwachen. Sie glotzte sie an. Der Altehustete und
     stöhnte, begann sich ächzend zu erheben. Der Bärtige schrie auf und zuckte im
     Schlaf, bevor er keuchend erwachte und zu schimpfen begann. Auch Nadeschda
     berappelte sich brummelnd.
    Arina gewahrte sich seitlich verkrümmt auf dem Boden
     liegend, die Stellung war unbequem. Sie setzte sich auf, streckte sich. Ihr Kopf war
     schwer, im Mund ein unangenehmer Geschmack, es schwindelte sie ein wenig. Einer nach
     dem anderen erhoben sich die Leute und gingen weg. Man sprach nicht miteinander,
     Arina fühlte sich scheel angeblickt. Kaum stand sie auf den Füßen, verzog sie das
     Gesicht: Ihr rechtes Bein schien vollkommen taub. Sie humpelte zur Wand, lehnte sich
     an. Der Alte setzte sich hustend auf. Das Mädchen, das ihn hergebracht hatte, saß
     schon neben ihm, kämmte sich das lange Haar. Dann half sie dem alten Mann
     aufzustehen. Auf die Krücke und das Mädchen gestützt, kam er auf die Füße. Musste
     wieder husten, spuckte auf den Boden. Arina löste sich von der Wand und humpelte zum
     Ausgang. Der Kopf war leer und schwer, doch die Seele davon unbenommen ruhig und
     leicht. Arina verließ den Dachboden, lief die Treppe hinab zu den Fahrstühlen. Dort
     standen ein paar von denen, die auf dem Boden gewesen waren, und warteten; manche
     waren auch schon zu Fuß nach unten unterwegs. Keiner sagte etwas, auch Arina schwieg
     und hatte keine Lust zu reden. Dem Fahrstuhl am nächsten, die Stirn anlehnend, stand
     die Alte mit dem Wackelkopf. Die Fahrstühle trafen gleichzeitig ein, die Leute
     drängten hinein, bis die Kabinen gedrängt voll waren. Die Fahrstühle fuhren davon,
     Arina blieb allein zurück. Von oben kam der alte Mann, auf seine Krücke gestützt und
     auf den Arm des Mädchens. Als er endlich vor Arina stand, kam der Fahrstuhl wieder.
     Der Alte und das Mädchen sowie Arina traten ein, das Mädchen drückte den
     Parterreknopf.

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