Der Zuckerkreml
DerFahrstuhl fuhr los. Schweigend sah der Alte
Arina an, mit vorwurfsvollem Blick. Sie schaute weg. Als der Fahrstuhl hielt, musste
Arina sich urplötzlich übergeben.
»Du hast das Nesthäkchen gefressen«, sagte der Alte und
grinste schief.
Er zog ein Taschentuch aus der Tasche und hielt es ihr
hin. Arina schüttelte den Kopf und nahm ihr eigenes aus dem Gürtel, wischte sich den
Mund.
»Sei das nächste Mal nicht so gierig«, mahnte der Alte.
»Gib anderen was ab. Nur nichts überstürzen. Klar?«
Arina nickte keuchend.
»Nicht nur dir ist Leid geschehen.«
Der Alte zwinkerte ihr zu und humpelte aus dem Fahrstuhl.
Das Mädchen, ihm nach, stützte ihn von hinten.
Als Arina wieder Luft bekam, tat sie einen großen Schritt
über ihr Erbrochenes hinweg, in dem sich die Pelmeni abzeichneten, die sie heute
nach der Frühschicht in der Kantine der Sagorjansker Gipserei zu sich genommen
hatte, und verließ den Fahrstuhl.
Draußen dunkelte es schon.
Arina zückte ihre Fernspreche, um nachzuschauen, wie spät
es war: beinahe neun. Auf der Bank, wo der Messerschleifer gesessen hatte, hockten
jetzt zwei Burschen mit ihren Freundinnen. Der eine hielt eine weiche Balalaika auf
dem Schoß und spielte »Hätt’ ich Berge von Gold«, die angetütelten Mädchen sangen
dazu, es hörte sich grässlich an. Ein Stück weiter hinten, unter den Pappeln,
hockten die Penner des Viertels mit den Nautilussen zusammen und soffen.
Arina richtete ihr Kopftuch und lief zielsicher in
Richtung Fußgängertunnel, wo sich der rot leuchtende Buchstabe U aus der schwärzlich grauen Luft abhob.
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DAS FREUDENHAUS
Ein Julisonnenuntergang wie Quittengelee tropfte und
schlierte in die stickige Luft des Moskauer Stadtteils Samoskworetschje, der
lechzend in seinem Staub lag, als der nagelneue blutfarbene Merin von Ochlop, seines
Zeichens Opritschnik in den Diensten des Gossudaren, angerauscht kam, der die Straße
wie üblich mit dem »Gossudarenröhren« genannten Ultraschallsignal freifegte, scharf
von der lärmigen Pjatnizkaja Uliza in den lauschigen Wischnjakowski Pereulok abbog
und vor einer kleinen gelb-rosa getünchten Villa mit weißem Säulenportal,
Milchglasfenstern und Rotlichtern über dem Vordach zum Stehen kam.
Still und beschaulich ist der Wischnjakowski Pereulok um
diese Stunde.
Ochlop, das Schwergewicht, hat die gläserne Kanzel seines
Merins noch nicht ganz aufgefahren, da kommt schon ein weiß gekleideter Tatare aus
der Tür gesprungen und zu ihm geeilt.
»Der Herr Opritschnik, bitte schön, ergebenst!«
Auf den Opritschnik, Diener des Gossudaren, hat man hier
schon sehnlichst gewartet. Die Kanzel des Merins fährt auf, ohne zu ruckeln, die
Sicherheitsgurte klicken leise beim Entriegeln. Ächzend wälzt Ochlop seinen sieben
Pud schweren Leib aus dem tief liegenden Wagen.
»Bitte, der Herr, bitte schön!«
Der Tatara greift dem Opritschnik devot unter den brokatenen
Ellbogen, schwänzelt, züngelt wie eine weiße Natter.
Behäbig entsteigt Ochlop dem Merin. Sein Aufzug entspricht
den sommerlichen Gepflogenheiten der Opritschnina: dünne Brokatjacke in Rot und
Silber, gegürtet mit silbernem Riemen, der das hölzerne Pistolenholster und das
Messer in kupferner Scheide trägt, eng anliegende Beinkleider von roter Seide,
Halbstiefel aus Saffianleder. Der Schopf des Opritschniks ist frisch gekraust und
mit Goldstaub bepudert, und am feisten Ohrläppchen vor der mit Rouge behauchten
Wange schwingt das Goldglöcklein. Ochlops Gesicht ist massig und herb, es macht
etwas her.
»Deck den Kopf zu«, schnauft er, und sein dicklicher
Finger, den ein Platinring mit schwarzem Saphir ziert, deutet auf den gefleckten
Doggenkopf, der an der Stoßstange vom Merin hängt und, dem Geruch nach zu urteilen
und der geschrumpelten fliederblauen Zungenspitze, schon ein wenig von Fäulnis
angegangen scheint, auch wenn Ochlops fleißige Pferdeknechte, die Zwillinge Matwej
und Danila, ihn auf dem Gutshof erst heute Morgen 5:17 Uhr vom tiefgefrorenen
Hundekörper getrennt und angebracht haben, noch bevor die Sonne über den Horizont
stieg und den Gutsherrn zu wecken vermochte mit mutwilligem Stich eines
speichendünnen Strahles ins offen stehende Schlafzimmerfenster, durch den Spalt
zwischen den Kattunvorhängen – dem furchterweckend schnarchenden Ochlop geradenwegs
ins trübe, halb geschlossene Titanenauge …
»Wird gemacht!«
In des
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