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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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DerFahrstuhl fuhr los. Schweigend sah der Alte
     Arina an, mit vorwurfsvollem Blick. Sie schaute weg. Als der Fahrstuhl hielt, musste
     Arina sich urplötzlich übergeben.
    »Du hast das Nesthäkchen gefressen«, sagte der Alte und
     grinste schief.
    Er zog ein Taschentuch aus der Tasche und hielt es ihr
     hin. Arina schüttelte den Kopf und nahm ihr eigenes aus dem Gürtel, wischte sich den
     Mund.
    »Sei das nächste Mal nicht so gierig«, mahnte der Alte.
     »Gib anderen was ab. Nur nichts überstürzen. Klar?«
    Arina nickte keuchend.
    »Nicht nur dir ist Leid geschehen.«
    Der Alte zwinkerte ihr zu und humpelte aus dem Fahrstuhl.
     Das Mädchen, ihm nach, stützte ihn von hinten.
    Als Arina wieder Luft bekam, tat sie einen großen Schritt
     über ihr Erbrochenes hinweg, in dem sich die Pelmeni abzeichneten, die sie heute
     nach der Frühschicht in der Kantine der Sagorjansker Gipserei zu sich genommen
     hatte, und verließ den Fahrstuhl.
    Draußen dunkelte es schon.
    Arina zückte ihre Fernspreche, um nachzuschauen, wie spät
     es war: beinahe neun. Auf der Bank, wo der Messerschleifer gesessen hatte, hockten
     jetzt zwei Burschen mit ihren Freundinnen. Der eine hielt eine weiche Balalaika auf
     dem Schoß und spielte »Hätt’ ich Berge von Gold«, die angetütelten Mädchen sangen
     dazu, es hörte sich grässlich an. Ein Stück weiter hinten, unter den Pappeln,
     hockten die Penner des Viertels mit den Nautilussen zusammen und soffen.
    Arina richtete ihr Kopftuch und lief zielsicher in
     Richtung Fußgängertunnel, wo sich der rot leuchtende Buchstabe U aus der schwärzlich grauen Luft abhob.

[Menü]
    DAS FREUDENHAUS
    Ein Julisonnenuntergang wie Quittengelee tropfte und
     schlierte in die stickige Luft des Moskauer Stadtteils Samoskworetschje, der
     lechzend in seinem Staub lag, als der nagelneue blutfarbene Merin von Ochlop, seines
     Zeichens Opritschnik in den Diensten des Gossudaren, angerauscht kam, der die Straße
     wie üblich mit dem »Gossudarenröhren« genannten Ultraschallsignal freifegte, scharf
     von der lärmigen Pjatnizkaja Uliza in den lauschigen Wischnjakowski Pereulok abbog
     und vor einer kleinen gelb-rosa getünchten Villa mit weißem Säulenportal,
     Milchglasfenstern und Rotlichtern über dem Vordach zum Stehen kam.
    Still und beschaulich ist der Wischnjakowski Pereulok um
     diese Stunde.
    Ochlop, das Schwergewicht, hat die gläserne Kanzel seines
     Merins noch nicht ganz aufgefahren, da kommt schon ein weiß gekleideter Tatare aus
     der Tür gesprungen und zu ihm geeilt.
    »Der Herr Opritschnik, bitte schön, ergebenst!«
    Auf den Opritschnik, Diener des Gossudaren, hat man hier
     schon sehnlichst gewartet. Die Kanzel des Merins fährt auf, ohne zu ruckeln, die
     Sicherheitsgurte klicken leise beim Entriegeln. Ächzend wälzt Ochlop seinen sieben
     Pud schweren Leib aus dem tief liegenden Wagen.
    »Bitte, der Herr, bitte schön!«
    Der Tatara greift dem Opritschnik devot unter den brokatenen
     Ellbogen, schwänzelt, züngelt wie eine weiße Natter.
    Behäbig entsteigt Ochlop dem Merin. Sein Aufzug entspricht
     den sommerlichen Gepflogenheiten der Opritschnina: dünne Brokatjacke in Rot und
     Silber, gegürtet mit silbernem Riemen, der das hölzerne Pistolenholster und das
     Messer in kupferner Scheide trägt, eng anliegende Beinkleider von roter Seide,
     Halbstiefel aus Saffianleder. Der Schopf des Opritschniks ist frisch gekraust und
     mit Goldstaub bepudert, und am feisten Ohrläppchen vor der mit Rouge behauchten
     Wange schwingt das Goldglöcklein. Ochlops Gesicht ist massig und herb, es macht
     etwas her.
    »Deck den Kopf zu«, schnauft er, und sein dicklicher
     Finger, den ein Platinring mit schwarzem Saphir ziert, deutet auf den gefleckten
     Doggenkopf, der an der Stoßstange vom Merin hängt und, dem Geruch nach zu urteilen
     und der geschrumpelten fliederblauen Zungenspitze, schon ein wenig von Fäulnis
     angegangen scheint, auch wenn Ochlops fleißige Pferdeknechte, die Zwillinge Matwej
     und Danila, ihn auf dem Gutshof erst heute Morgen 5:17 Uhr vom tiefgefrorenen
     Hundekörper getrennt und angebracht haben, noch bevor die Sonne über den Horizont
     stieg und den Gutsherrn zu wecken vermochte mit mutwilligem Stich eines
     speichendünnen Strahles ins offen stehende Schlafzimmerfenster, durch den Spalt
     zwischen den Kattunvorhängen – dem furchterweckend schnarchenden Ochlop geradenwegs
     ins trübe, halb geschlossene Titanenauge …
    »Wird gemacht!«
    In des

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