Der zugeteilte Rentner (German Edition)
wollte sie überraschen, hatte seine Sachen schon gepackt. Brötchen zum Frühstück, ein Sekt zum Anstoßen für die neue Wohngemeinschaft. Und anschließend vielleicht Sex. Samstage waren ideal dafür. Doch statt einer freundlichen Begrüßung kam der Schock: Ein halbnackte Mann in ihrer Wohnung. Er hatte sie nur zwei Tage lang nicht gesehen, aber anscheinend genug Zeit, jemand neuen zu finden und diesen bei sich einziehen zu lassen. Warum sagte sie es ihm nicht? Sie wusste doch, dass er es erfahren würde. Doch die Puzzleteile ergaben ein klares Bild. Zuerst wollte sie nicht, dann wieder doch, dann wieder nicht, und jetzt doch. Das Ende: Ein alter, halbnackter Rentner lebte bei ihr. Finn wollte sich gar nicht mehr vorstellen. Seine Erinnerungen reichten ihm, um ihm übel werden zu lassen.
Clara erreichte ihren Freund kurz bevor er in die U-Bahn stieg. Obwohl sie mehrmals nach ihm rief, lief er weiter. Erst als sie ihm die Tasche aus der Hand riss, blieb er stehen.
„Wieso bist du abgehauen?“
Doch die hereindonnernde U-Bahn zerstörte die unterirdische Stille.
Zuerst schwieg er, seine großen Bambi-Augen suchten die Umgebung ab, nur um sie nicht direkt ansehen zu müssen.
„Wieso? Ein halbnackter Mann begrüßte mich in seinen Unterhosen!“
„Du verstehst das falsch. Der hat nur übernachtet!“
„Woher soll ich das wissen? Was macht der bei dir?“
„Der Typ stand gestern vor meiner Tür mit einem Papier vom Rentenamt. Irgendwie haben die ihn mir zugewiesen, ich soll mich um ihn kümmern. Aber die vom Amt wissen von nichts und der Verantwortliche ist erst am Montag zu sprechen. Und da er keine Unterkunft hat, lasse ich ihn so lange bei mir wohnen. Am Montag fliegt er raus.“
„Was? Ich wollte bei dir einziehen. Du hättest mich anrufen können. Und übrigens hat der Mann hat ganz andere Sachen erzählt! Ich glaube vielmehr, dass er der Grund ist, warum wir bisher nicht zusammen gezogen sind. Auch wenn ich es nicht verstehen kann … Ich muss jetzt weg. Ich muss noch … in meine Gruppe.“
Clara wusste nicht, wer sie gerade mehr aufregte. Maximilian trug für das meiste die Verantwortung und Finn verhielt sich wie ein trotziges Kind. Schließlich packte sie ihn am Kragen und zog ihn an sich. Finn brummelte ein paar unverständliche Wörter, drehte sich mehrmals um seine eigene Achse und murrte noch eine Weile rum. Erst als Clara ihn küsste, wurde er ruhiger und ein kleines Lächeln fand sich auf seinem Gesicht ein. Dann setzte sich die U-Bahn in Gang. Es klapperte, es quietschte und mit einem Schrei verschwand das metallene Ungetüm in der Dunkelheit.
Ersatzzeiten
Es klopfte. Sehr ungewöhnlich bei einer Tür, die mit einem überdimensionalen Klingelknopf versehen war. Außerdem stand in einer 60 Punkt großen Times-Schrift „Klingel – Bitte klingeln!“ drauf.
Es klopfte noch einmal.
Maximilian reagierte zuerst nicht, vielleicht kam die Beamtin zurück oder noch schlimmer: die Polizei. Außerdem klopfte es ständig in diesem Wohnhaus, meistens die Nachbarn, die entweder ein Bild aufhängten oder scheinbar aus Langeweile Geräusche produzierten. Typische Nachbarn eben. Vor allem beschäftigte Maximilian sich gerade damit, seine Suppe zu würzen. Noch etwas Salz, etwas Gemüsebrühe, fertig war das Fünf-Minuten-Mittagessen. Jetzt musste Clara kommen, sich über Essen, Aufräumen, Spülen und das Putzen freuen und ihm vor Dank um den Hals fallen.
Der Dackel rannte immer wieder zur Tür, sprang auf und ab, kratzte am Holz und bellte. Jemand stand davor. Zumindest trug Maximilian jetzt seine Hosen, in dieser Erscheinung konnte er wenigstens nachsehen, um welchen Besuch es sich handelte.
Im Türspion erblickte er eine junge Frau, die er nicht kannte. Sie sah etwas unordentlich aus, die Haare nass, der Rest auch, außerdem füllte sie mit ihrer ganzen Erscheinung den Türspion aus. Ständig bewegte sie sich, huschte am Türspion vorbei, so dass er sie kaum betrachten konnte. Hin und zurück. Kurz gesehen. Hin und zurück. Vielleicht war sie eine Spionin, eine Abgesandtin der Deutschen Rentenversicherung, die ihm eine Falle stellte. Aber eigentlich sah sie ziemlich harmlos aus, so normal, so ungefährlich. Die Frau hüpfte vor der Tür herum, von einem Bein aufs andere, jedes Mal wippte der Speck auf und ab, die Brüste, der Bauch, die Oberschenkel, die Arme – eigentlich zu lebendig für eine Beamtin.
Maximilian öffnete die Tür. Doch er fand kaum Gelegenheit, die junge Frau etwas zu fragen, da stand
Weitere Kostenlose Bücher