Der zugeteilte Rentner (German Edition)
produzierte er doch gar nicht, um jetzt aufräumen zu müssen. Im Übrigen sah die Wohnung sauber aus. Eine Pause schien ihm jetzt die richtige Konsequenz. Wer arbeitete, durfte auch ausruhen. Doch bevor er sich in seinen Shorts auf der Couch ausstreckte, klingelte es an der Tür. Vermutlich Clara oder Finn oder ein anderer ihrer Freunde. Vielleicht gab es wieder etwas zu essen. Zumindest regte sich der Dackel auf. Er lief zur Tür, sprang hoch und bellte dabei, das machte er immer, wenn er hungrig wurde.
Maximilian schaute durch den Türspion. Eine ältere Frau, etwas rundlich, stand davor – sie sah aus, als wäre sie von der GEZ. Besser geschlossen lassen.
„Ich kann Sie hören. Machen Sie bitte auf, Frau Januszewski.“
Das war nicht der feine liebliche Ton einer Opern-Diva, auch wenn sie so aussah, das klang vielmehr nach dem Timbre einer aufgeregten Beamtin. Was wollte sie von Clara? Wusste sie etwas über ihn?
„Frau Januszewski?“
Der Dackel bellte, ganz gleich, wie sehr Maximilian sich bemühte, den Kleinen zu beruhigen.
„Frau Januszewski! Ich würde Sie gerne sprechen. Ich bin von der Deutschen Rentenversicherung, Abteilung Renten-Ordnungsamt! Ich hätte ein paar Fragen.“
Rentenordnungsamt, Polizei, Altenheim – und nie wieder frei sein. Sie waren ihm auf der Spur. Er musste sie abschütteln. Irgendwas machen, damit sie keinen Verdacht schöpfte. Nur was?
„Iiiah!“, versuchte er die Stimme höher klingen zu lassen.
„Kommen sie doch bitte raus!“
„Ich bin nackt!“, piepste er und hoffte, dass sie ihm das glaubte.
„Hören Sie zu. Wir suchen einen entlaufenen Rentner. Ich wollte nur wissen, ob sie ihn vielleicht gesehen haben.“
Diesen Worten folgte ein großer weißer Zettel, der unter der Tür durchrutschte. „Gesucht“ stand oben drauf. Und dann folgte Maximilians Bild. Ein trauriges Foto, ziemlich unscharf, außerdem umfasste ein Vollbart sein Gesicht. Das Bild wurde kurz nach dem Tod seiner Frau aufgenommen. Der Name stimmte auch nicht. Da stand nichts von Himmel oder Maximilian – trotzdem war er derjenige, den sie suchten.
„Haben Sie diesen Mann gesehen?“
„Nein! Sieht aber nett aus.“
„Sind Sie sicher? Man sagte uns, dass er hier in dieser Gegend gesehen wurde.“
„Ich bin mir sicher!“
„Frau Januszewski, rufen Sie uns bitte an, falls Sie ihn sehen.“
„In Ordnung!“
Die Beamtin polterte davon und klingelte an der Tür des Nachbarn. Auch hier wollte niemand öffnen. Auch diesmal musste sie den Steckbrief unter der Tür durchschieben.
Maximilian setzte sich mit seinem Steckbrief auf den Stuhl. Seine Hände zitterten. Er wusste zwar, dass sie ihn irgendwann fänden, aber so schnell – das hatte er nicht geahnt. Sie waren wie Hunde, die den Fuchs hetzten. Vermutlich bekamen sie eine Prämie für jeden Rentner, den sie erlegten. Es wäre nur zu ihrem Besten, sagten sie. Ordnung musste sein. Sonst verhungerten oder erfroren die alten Menschen auf der Straße. Wäre es nicht schöner, ein Zimmer zu haben, jeden Tag sein Essen und hin und wieder Unterhaltung? Doch das Dasein der älteren Menschen sah anders aus. Sie lebten eingepfercht in Wohnheimen für verarmte Rentner, für Maximilian ein Albtraum. Er wollte frei sein, nach all den Jahren. Er war Geschäftsmann gewesen, handelte jahrelang mit Bürobedarf. Alles, was man so brauchte. Als er Geld verdiente und seine Steuern zahlte, ließen sie ihn in Ruhe. Jetzt gehörte er zu den Abhängigen; ohne Geld, ohne Rechte.
Er ging an das Fenster und schaute raus. Vor der Tür stand ein großer Kastenwagen. Ordnungsamt stand drauf. Abteilung Deutsche Rentenversicherung. Ein Auto wie das von den Hundefängern: kleine Gitterfenster, bleiche Gesichter dahinter, die ängstlich rausschauten. Sie blickten zu ihm hoch. Es dauerte nicht lange, dann hatten sie ihn. Vorsichtig sein hieß es. Vielleicht vermuteten sie bereits, dass er hier wohnte. Ein kleiner Fehler und er war weg.
Maximilian nahm den Zettel, steckte ihn zusammen und legte ihn zwischen die Zeitungen auf dem Altpapierstapel an der Tür. So leicht machte er es ihnen nicht.
Irrtümliche Pflichtbeitragszahlung
Finn war alles andere als schnell. Er versuchte den Jackenkragen so weit nach oben zu ziehen, damit der Regen ihm nicht den Rücken herunter lief. Obwohl er sich beeilte, um von Claras Wohnung wegzukommen, glich sein Schritt mehr einem Schlangenlinien-Schlendern als einem Laufen, was vor allem an seinem dicken Bauch und der schweren Tasche lag.
Finn schluchzte. Er
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