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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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dichten Nebelschleier kam das Geschütz gar nicht mehr zum Schweigen. Und mit einer großartigen Gebärde reckte er den Arm vor.
    »Nicht wahr? diesmal geht's los!... Nun wollen wir sie mal mit dem Kolben nach Hause jagen!«
    Für ihn war alles ausgewischt, seit er Geschützdonner hörte: die Langsamkeit und Unbestimmtheit ihrer Märsche, die Entmutigung der Truppen, das Unglück bei Beaumont und schließlich die Todesqual dieses letzten, erzwungenen Rückzuges auf Sedan. War denn der Sieg nicht sicher, nun esendlich zum Schlagen kam? Er hatte nichts vergessen und nichts zugelernt, er blieb bei seiner prahlerischen Mißachtung des Feindes, seiner vollständigen Unkenntnis neuerer Kriegsverhältnisse in der hartnäckigen Sicherheit, ein alter Soldat aus Afrika, der Krim und Italien könne nicht geschlagen werden. Das wäre wirklich zu komisch gewesen, in seinem Alter noch mit so etwas anzufangen!
    Ein plötzlicher Lachausbruch riß ihm förmlich die Kinnbacken auseinander. Und dann gab er eines der Zeichen von Zuneigung von sich, die ihm die Anbetung seiner Leute verschafften, trotz aller Rippenstöße, die er zuweilen austeilte.
    »Hört mal, Kinder, anstatt zu zanken wäre es besser, ihr nehmt mal einen Schluck... Ja, ich will euch einen ausgeben, und ihr trinkt auf meine Gesundheit.«
    Er zog aus der tiefen Tasche seines Rockes eine Flasche Branntwein und setzte mit triumphierender Miene hinzu, das wäre das Geschenk einer Dame. In der Tat hatte man ihn am Tage vorher am Tische einer Kneipe in Floing sich sehr unternehmend gegen eine der Kellnerinnen benehmen sehen, die er auf den Knien hielt. Jetzt lachten die Soldaten gutherzig und hielten ihre Eßnäpfe hin, in die er ihnen lustig einschenkte.
    »Auf unsere guten Freundinnen müßt ihr trinken, Kinder, wenn ihr eine habt, und auf das Wohl Frankreichs... Was anderes weiß ich nicht, es lebe die Freude!«
    »Das ist wahr, Herr Leutnant! Auf Ihr Wohl und aufs Wohl aller Welt!«
    Alle tranken versöhnt und wurden wieder warm. Das war nett, dieser Tropfen so in der Morgenfrische, wenn es gegen den Feind gehen sollte. Auch Maurice fühlte es sich durch die Adern rinnen, wie es ihn wärmte und in die Halbtrunkenheitder Einbildung versetzte. Warum sollten sie die Preußen auch nicht schlagen? Sparte nicht jede Schlacht mancherlei Überraschungen auf, bewahrte die Geschichte nicht manches Beispiel dafür auf, wie die Welt über einen unerwarteten Glückswechsel in Erstaunen geraten war? Und der Teufelskerl fügte noch hinzu, Bazaine sei auf dem Marsche, vor Abend noch werde er erwartet; ach! die Vereinigung sei ganz sicher, das wußte er von dem Adjutanten eines Generals; und wenn er auch nach Belgien zeigte, um die Richtung anzugeben, aus der Bazaine käme, Maurice überließ sich doch einer dieser Aufwallungen von Hoffnung, ohne die er nicht leben konnte. Vielleicht käme es jetzt doch zur Genugtuung.
    »Worauf warten wir denn noch, Herr Leutnant?« erlaubte er sich zu fragen. »Wir marschieren ja noch nicht!«
    Rochas machte eine Handbewegung, wie um zu sagen, es sei noch kein Befehl dazu da. Nach einer Pause fragte er dann:
    »Hat niemand den Herrn Hauptmann gesehen?«
    Kein Mensch antwortete. Jean fiel es ein, daß er gesehen hatte, wie er sich nachts in der Richtung auf Sedan entfernte; aber ein kluger Soldat muß den Vorgesetzten außerhalb des Dienstes nicht immer sehen. Er schwieg und sah, als er sich umdrehte, einen Schatten an der Hecke entlang kommen.
    »Hier kommt er«, sagte er.
    Tatsächlich war es Hauptmann Beaudouin. Er setzte alle durch die Sauberkeit seines Anzuges in Erstaunen, seine Uniform war abgebürstet, seine Schuhe gewichst, was von dem jammervollen Zustande des Leutnants außerordentlich abstach. Zudem lag noch so etwas wie eine gewisse gefallsüchtige Sorgfalt auf ihm, liebevolle Fürsorge haftete seinen weißen Händen und seinem aufgezwirbelten Schnurrbart an, ein unbestimmter Duft von persischem Flieder, so daß es nachdem gut eingerichteten Ankleidezimmer einer niedlichen Frau roch.
    »Aha!« spottete Loubet, »der Hauptmann hat sein Gepäck wiedergefunden!«
    Aber niemand lachte, denn sie wußten, es war nicht mit ihm zu spaßen. Sie verabscheuten ihn, weil er sie sich vom Leibe hielt. Ein Korinthenkacker, wie Rochas sagte. Nach den ersten Niederlagen sah er geradezu beleidigt aus; und das von allen vorausgesehene Unglück kam ihm besonders unzeitig vor. Als überzeugtem Bonapartisten war ihm ein gutes Vorwärtskommen sicher, zumal er

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