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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sich auf verschiedene Salons stützen konnte; nun sah er sein ganzes Glück hier in den Dreck fallen. Es hieß, er besitze einen sehr netten Tenor und habe ihm auch schon viel zu verdanken. Übrigens war er nicht ohne Kenntnisse, wenn er auch von seinem Beruf nichts verstand und einzig und allein gefallen wollte; aber er war recht tapfer, wenn es darauf ankam, allerdings ohne übermäßigen Eifer.
    »Was für ein Nebel!« sagte er nur, innerlich froh, daß er seine Kompanie wiedergefunden hatte; denn er suchte sie schon eine halbe Stunde voller Furcht, sie verloren zu haben. Sofort rückte nun das Bataillon vor, denn es war endlich der Befehl dazu gekommen. Es mußten wohl neue Nebelschwaden aus der Maas aufgestiegen sein, denn sie marschierten fast nach dem Gefühl inmitten einer Art weißlichen Taues, der sich als leichter Regen niederschlug. Und da hatte Maurice eine packende Erscheinung, nämlich die des Oberst von Vineuil, der plötzlich zu Pferde unbeweglich an einer Straßenkreuzung blaß und riesengroß wie das Marmorbild der Verzweiflung dastand, das Tier schaudernd in der Kälte des Morgens und die Nüstern weit offen dort unten gegen den Geschützdonner hin gerichtet. Aber zehn Schritte hinter ihmschwebte hoch in der Luft die bereits aus ihrem Überzeug genommene Fahne des Regiments, die ein diensttuender Unterleutnant trug, und in den weißen, hin und her schwebenden Dünsten erschien sie ihm auf diesem traumhaften Hintergründe wie ein Sinnbild des Ruhmes, das zitternd verschwinden wollte. Der goldene Adler war mit Feuchtigkeit beschlagen, während die dreifarbige Seide, in die die Namen ihrer Siege eingestickt waren, verblaßt, verräuchert und von alten Wunden durchlöchert war; und nur das an das Fahnenband geheftete Kreuz der Ehrenlegion verlieh dem verblaßten Ganzen durch seine schmelzgezierten Arme lebhafteren Glanz.
    Fahne und Oberst verschwanden, von einer neuen Welle verschlungen, und das Bataillon rückte immer weiter vor, ohne zu sehen wohin, wie in feuchte Watte eingehüllt. Es war einen Abhang heruntergegangen, und jetzt ging es über einen schmalen Weg wieder bergauf. Dann ertönte der Befehl: Halt! Und da standen sie, das Gewehr bei Fuß, die Schultern vom Tornister beschwert, ohne rühren zu dürfen. Sie mußten sich auf einer Hochebene befinden; da man aber auf zwanzig Schritt noch nichts sehen konnte, war durchaus nichts zu erkennen. Es war sieben Uhr und der Geschützdonner schien näherzukommen, neue Batterien feuerten von der andern Seite, von Sedan herüber, näher und näher heran.
    »Ach, ich werde heute fallen!« sagte der Sergeant Sapin ganz unvermittelt zu Jean und Maurice.
    Seit dem Wecken hatte er den Mund noch nicht geöffnet und schien in Träumereien versunken mit seinem winzigen Gesicht mit den schönen großen Augen und der kleinen spitzen Nase.
    »Ist das ein Einfall!« rief ihm Jean wieder zu. »Wer kannvorher sagen, was man abkriegt? ... Wissen Sie, für manche gibt's gar nichts, und doch gibt's was für alle Welt.«
    Aber der Sergeant nickte mit dem Kopfe wie zum Ausdruck unbedingter Gewißheit.
    »Oh, mir ist's, als wäre es schon vorbei ... Ich falle heute.«
    Köpfe fuhren nach ihm herum und man fragte, ob er das im Traume gesehen hätte. Nein, er hatte überhaupt nicht geträumt; er fühlte nur, daß es so wäre.
    »Und doch ist es eigentlich zu dumm, denn ich wollte heiraten, wenn ich jetzt nach Hause käme.«
    Von neuem irrten seine Augen umher und er überblickte sein Leben. Als Sohn kleiner Kolonialwarenhändler in Lyon war er von seiner Mutter, die er verloren hatte, verzogen worden; mit seinem Vater hatte er sich nicht verstehen können, und so war er trotz seines Widerwillens beim Regiment geblieben und hatte sich auch nicht loskaufen lassen; und während eines Urlaubes war er mit einer seiner Kusinen zu einem Einverständnis gekommen, da er den Glauben ans Dasein wiedergefunden hatte, und machte nun glücklich mit ihr Pläne für einen kleinen Handel, den sie mit Hilfe der paar Kröten ihrer Mitgift errichten wollten. Er hatte guten Unterricht im Schreiben, Rechtschreibung und Rechnen genossen. Seit einem Jahre lebte er nur noch in der Freude über diese Zukunft.
    Er schauerte zusammen und schüttelte sich, wie um aus seiner Zwangsvorstellung herauszukommen, während er ganz ruhig wiederholte:
    »Ja, es ist zu dumm, heute falle ich.«
    Niemand sprach mehr, und die Spannung dauerte fort. Man wußte sogar nicht mehr, ob man dem Feinde den Rückenoder die

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