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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Gelände, und das Wasser schlug ungefähr zwei Meter tief gegen die Mauer. Keine Möglichkeit, durchzukommen. Ihre kleinen Fäuste ballten sich; mit aller Kraft mußte sie sich straff halten, um nicht in Tränen zu vergehen. Nach dem ersten Anfall ging sie an der Einfriedung entlang und fand schließlich einen zwischen den zerstreut liegenden Häusern hindurchlaufenden Pfad. Diesmal hielt sie sich für gesichert, denn sie kannte dies Labyrinth, dies Gewirr verschlungener Pfade, dessen Knäuel sich schließlich am Ende des Ortes wieder entwirrte.
    Dort aber fielen Granaten nieder. Ganz blaß und taub blieb Henriette nach einem entsetzlichen Krach wie erstarrt stehen, als der Luftdruck sie umwehte. Wenige Meter vor ihr war ein Geschoß geplatzt. Sie wandte den Kopf und beobachtete die Höhen auf dem linken Ufer, von wo der Rauch der deutschen Geschütze aufstieg; nun wurde ihr die Lage klar und sie setzte, die Augen auf den Horizont gerichtet, ihren Weg fort und spähte nach den Granaten aus, um ihnen ausweichen zu können. Trotz aller verrückten Tollkühnheit führte sie ihr Unternehmen doch mit großer Kaltblütigkeit durch, mit all der ruhigen Tapferkeit, deren ihre gute, kleine Hausfrauenseele fähig war. Sie wollte sich nicht umbringen lassen, sie wollte ihren Mann wiederfinden, ihn mitnehmen und glücklich mit ihm weiterleben. Die Granaten fielen ununterbrochen, sie glitt an der Mauer entlang, warf sich hinter Ecksteinen nieder und nutzte die geringsten Schutzmöglichkeiten aus.
    Aber da kam ein ungedeckter Zwischenraum, wo eine Strecke des Weges schon durch einschlagende Granaten aufgewühlt war; hier blieb sie hinter der Ecke eines Schuppens stehen, als sie vor sich am Rande einer Art Grube den Kopf eines Jungen bemerkte, der sich die Sache ansah. Es war ein zehnjähriger kleiner Kerl mit nackten Füßen, nur mit einem Hemd und einer zerlumpten Hose bekleidet, ein richtiger Straßenjunge, dem die Schlacht großen Spaß machte. Seine kleinen schwarzen Augen funkelten, und bei jedem Krach schrie er vor Vergnügen laut auf.
    »Oh, sind sie ulkig! ... Nicht rühren, da kommt wieder eine an! ... Bumm! Hat die aber gepupt! ... Nicht rühren, nicht rühren!«
    Bei jedem Geschoß tauchte er so auf den Boden seines Loches nieder, kam wieder hoch, streckte seinen Kopf über den Rand, pfiff wie ein Vogel und verschwand wieder.
    Nun bemerkte Henriette, daß die Granaten nur vom Liry herüberkamen, während die Batterien bei Pont-Maugis und Noyers nur auf Balan feuerten. Bei jeder Entladung sah sie ganz deutlich den Rauch; dann hörte sie fast sofort das Pfeifen und das darauffolgende Bersten. Dann gab es jedesmal einen Augenblick Ruhe, und langsam zergingen leichte Rauchwölkchen.
    »Die nehmen sicher einen!« schrie der Kleine. »Schnell, schnell, geben Sie mir die Hand, wir wollen auswichsen!«
    Er packte ihre Hand und zwang sie, mit ihm zu laufen; Seite an Seite rannten sie so beide mit gekrümmten Rücken über den freien Zwischenraum. Als sie sich an seinem Ende hinter einen Heuschober warfen und sich umdrehten, sahen sie gerade wieder eine Granate kommen und genau auf den Schuppen fallen, auf die Stelle, wo sie eben noch gestandenhatten. Der Lärm war furchtbar und der Schuppen brach in sich zusammen.
    Das fand der Bengel höchst spaßig und fing vor Freuden an wie besessen herumzutanzen.
    »Bravo! da gibt's aber Brennholz!... Was? einerlei, Zeit war's doch!«
    Aber zum zweiten Male stieß Henriette auf ein unübersteigbares Hindernis, eine Gartenmauer ohne jeden Durchgang. Ihr kleiner Gefährte lachte immerfort und meinte, wenn sie nur wollten, würden sie schon hinüberkommen. Er kletterte auf die Mauer hinauf und half ihr dann nach. Sie sprangen wieder herunter und befanden sich in einem Gemüsegarten zwischen Erbsen- und Bohnenbeeten. Überall neue Einfriedungen. Um herauszukommen, mußten sie durch ein niedriges Gärtnerhaus gehen. Er ging pfeifend und die Arme schlenkernd voran und ließ sich durch nichts verblüffen. Er stieß eine Tür auf, stand in einer Kammer und ging weiter in eine andere, in der eine alte Frau stand, offenbar die einzige zu Hause gebliebene Seele. Sie schien ganz verdutzt, wie sie so neben dem Tische stand. Sie sah diese beiden ihr ganz unbekannten Menschen durch ihr Haus gehen, sagte aber kein Wort zu ihnen, und die redeten sie auch nicht an. Sie traten bereits auf der andern Seite in ein kleines Gäßchen hinaus, dem sie einen Augenblick folgen konnten. Dann boten sich neue

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