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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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kommen wieder hinein; aber ich sage Ihnen vorher, kalt ist's da nicht.«
    »Ich will in Bazeilles meinen Mann suchen«, erklärte Henriette mit ihrer sanften Stimme, wobei ihre hellblauen Augen ruhige Entschlossenheit erkennen ließen.
    Das Lachen verstummte; ein alter Sergeant machte sie frei und zwang sie zum Umkehren.
    »Mein armes Kind, Sie sehen doch, es ist nicht möglich, hier durchzukommen ... Das ist nichts für eine Frau, gerade jetzt nach Bazeilles zu gehen ... Sie werden Ihren Mann später schon wiederfinden. Kommen Sie, seien Sie vernünftig!«
    Sie mußte nachgeben und blieb still stehen; alle Augenblicke stellte sie sich auf die Fußspitzen, um in die Ferne zu sehen, denn ihr Entschluß, ihren Weg fortzusetzen, stand bei ihr fest. Was sie um sich herum erzählen hörte, diente ihr als Auskunft. Die Offiziere klagten bitter über den Rückzugsbefehl, der sie um ein Viertel nach acht zur Aufgabe von Bazeilles zwang, als General Ducrot, der Nachfolger des Marschalls, es für angezeigt hielt, die gesamten Truppen auf der Hochebene von Illy zusammenzuziehen. Das Schlimmste war, daß das erste Korps sich zu früh zurückzog und den Deutschen den Givonnegrund überließ, so daß das zwölfte Korps, das schon heftig von vorn angegriffen wurde, auch in der linken Seite entblößt wurde. Nachdem aber jetzt General Wimpffen auf General Ducrot gefolgt war, wurde der erste Plan wieder aufgenommen, und es kam Befehl, Bazeilles, koste es was es wolle, wiederzunehmen und die Bayern in die Maas zu jagen. War das nicht verrückt, ihnen erst eine Stellung zu überlassen, die man jetzt wiedernehmen mußte? Sie wollten sich wohl totschlagen lassen, aber wahrhaftig doch nicht zum Spaß.
    Es entstand ein mächtiges Gedränge von Menschen und Pferden. General Wimpffen erschien; in den Steigbügeln stehend, rief er in höchster Erregung mit glühendem Gesicht:
    »Freunde, wir können nicht zurückgehen, das bedeutete das Ende ... Wenn wir uns aber doch durchschlagen müssen, gehen wir über Carignan und nicht über Mézières ... Aber wir werden siegen, ihr habt sie heute morgen schon geschlagen, und jetzt werdet ihr sie wieder schlagen!«
    Im Galopp entfernte er sich auf einem nach La Moncelle führenden Wege. Es lief das Gerücht, er hätte eine heftige Auseinandersetzung mit General Ducrot gehabt, jeder hätte auf seinem Plane bestanden und den des andern bekämpft, der eine hätte erklärt, der Rückzug über Mézières wäre schon am Morgen undurchführbar gewesen, der andere hätte geweissagt, wenn sich nicht alles auf der Hochebene von Illy zusammenzöge, würde das Heer vor Abend noch eingeschlossen sein. Und sie warfen sich gegenseitig vor, sie kennten weder das Land noch die wirkliche Lage der Truppen. Das Schlimmste war, daß alle beide recht hatten.
    Aber seit ein paar Augenblicken fand sich Henriette von ihrer Eile, vorwärts zu kommen, abgelenkt. Sie erkannte am Straßenrande zusammengebrochen eine ganze Familie aus Bazeilles, arme Weber, Vater, Mutter und drei Mädchen, von denen das älteste erst neun Jahr alt war. Sie waren zerschlagen, so von Müdigkeit und Verzweiflung erschöpft, daß sie nicht weiter konnten und gegen eine Wand gesunken waren.
    »Ach liebe Dame,« wiederholte die Frau zu Henriette, »wir haben nichts mehr ... Sie wissen, unser Haus stand auf dem Kirchenplatz. Da steckte eine Granate es in Brand. Ich weiß nicht, wie die Kinder und wir selbst davongekommen sind ...«Bei dieser Erinnerung fingen die drei kleinen Mädchen wieder an zu weinen und zu schreien, während die Mutter sich unter halbverrückten Gebärden in Einzelheiten erging.
    »Ich sah unsern Webstuhl wie einen Haufen trockenes Holz brennen ... Das Bett und die Sachen flammten schneller auf als eine Handvoll Stroh ... Und die Uhr, jawohl, nicht mal so viel Zeit hatte ich, daß ich die Uhr auf dem Arme mitnehmen konnte.«
    »Himmeldonnerwetter!« fluchte der Mann, dem die Augen voll dicker Tränen standen, »was soll nun aus uns werden?«
    Um sie zu beruhigen, sagte Henriette zu ihnen schlicht mit etwas zitteriger Summe:
    »Sie sind doch alle beide gesund und wohlbehalten beieinander und haben noch ihre kleinen Mädels: was klagen Sie denn da noch?«
    Dann fragte sie sie aus und wollte wissen, wie es in Bazeilles zuginge, ob sie ihren Mann gesehen hätten und wie ihr Haus ausgesehen hätte. Aber sie zitterten vor Furcht und ihre Aussagen widersprachen sich. Nein, Herrn Weiß hatten sie nicht gesehen. Eins der kleinen Mädchen

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