Der Zusammenbruch
Bajonettstich durchbohrt, die beiden andern wurden gefangengenommen; der Hauptmann, der gerade seinen letzten Atemzug getan hatte, blieb mit offenem Munde und erhobenem Arme liegen, als ob er noch einen letzten Befehl geben wollte.
Indessen hatte ein Offizier, ein dicker blonder, mit einem Revolver bewaffneter Mann, dessen blutunterlaufene Augen aus ihren Höhlen zu treten schienen, Weiß und Laurent bemerkt, den einen im Überzieher, den andern in seiner blauen Leinenbluse; wütend redete er sie auf Französisch an:
»Wer sind Sie? Was haben Sie hier zu tun?«
Als er dann sah, wie schwarz sie von Pulver waren, begriff er den Zusammenhang und überschüttete sie mit vor Wut stotternder Stimme auf Deutsch mit Flüchen. Er hob schon seine Pistole, um ihnen den Schädel zu zerschmettern, als die von ihm befehligten Soldaten sich auf sie stürzten und sie nach der Treppe hindrängten. In einer Menschenwelle wurden die beiden Männer nun vorwärts geschoben und getragen, um auf die Straße geworfen zu werden; hier rollten sie unter einem derartigen Geschimpfe bis an die gegenüberliegende Mauer, daß die Stimme des Führers nicht mehr zu verstehenwar. Während zwei oder drei Minuten, in denen der dicke Offizier sie loszumachen versuchte, um sie sogleich hinrichten zu lassen, konnten sie wieder aufstehen und sich umsehen.
Weitere Häuser gingen in Flammen auf, Bazeilles war nur noch ein Scheiterhaufen. Durch die hohen Kirchenfenster begannen Flammenbündel hervorzubrechen. Soldaten jagten eine alte Dame aus ihrem Hause und zwangen sie, ihnen Streichhölzer zu geben, mit denen sie dann ihr Bett und ihre Fenstervorhänge in Brand steckten. Die Feuersbrunst gewann infolge umhergeworfener Strohbündel und der Ströme vergossenen Petroleums mehr und mehr Raum; es war die Kriegführung von Wilden, die vor Wut über die lange Dauer des Kampfes ihre Toten rächen wollten, die Haufen von Toten, über die sie hinwegzuschreiten hatten. Durch Rauch und Funkenregen heulten ihre Banden in all dem aus den verschiedensten Geräuschen, Todesschreien, Schüssen, Einstürzen, zusammengesetzten furchtbaren Lärm. Nur mit Mühe war bei dem alles umhüllenden bleigrauen Staube, der sogar die Sonne verhüllte, noch irgend etwas zu erkennen, und es herrschte ein unerträglicher Geruch nach Schweiß und Blut, wie geschwängert mit allen Greueln dieses Gemetzels. Immer noch wurde in allen Ecken gemordet: das war das losgelassene Tier, der blinde Zorn, die rasende Wut des Menschen, der den Menschen verzehrt.
Nun endlich sah Weiß sein brennendes Haus vor sich. Einige Soldaten rannten mit Fackeln herbei, andere fachten die Flammen durch Hineinwerfen von zerbrochenen Möbeln an. Das Erdgeschoß flammte rasch auf, Rauch strömte aus allen Wunden der Vorderseite und des Daches. Aber bereits fing die benachbarte Färberei gleichfalls Feuer; und es war gräßlich, wie man immer noch die Stimme des kleinen Augusthören konnte, der in seinen Fieberqualen im Bette lag und nach seiner Mutter lief; die Kleider der Unglücklichen, die mit zerschmettertem Schädel über ihre Schwelle hingestreckt lag, fingen währenddessen Feuer.
»Mutter, ich bin so durstig ... Mutter, gib mir Wasser ...«
Die Flammen brausten, die Summe erstarb, und es war nichts mehr zu unterscheiden als das betäubende Hurra der Sieger.
Aber all den Lärm und das Getobe übertönte plötzlich ein furchtbarer Schrei. Das war Henriette, die jetzt eben herbeikam und ihren Mann einer ihre Waffen schußbereit machenden Schützenreihe gegenüber an der Mauer stehen sah.
Sie stürzte ihm an den Hals.
»Mein Gott! Was geht hier vor? Sie wollen dich doch nicht umbringen?«
Weiß sah sie stumpfsinnig an. Sie, sein Weib, nach der er sich solange gesehnt hatte, die er mit so abgöttischer Verehrung anbetete! Ein Schauer weckte ihn aus seiner Erstarrung. Was hatte er getan? Warum war er dageblieben und hatte mit geschossen, anstatt zu ihr zu gehen, wie er es ihr geschworen hatte? Schwindelnd sah er nun sein ganzes Glück vor sich versinken, die gewaltsame Trennung auf ewig. Da versetzte ihn das Blut vor ihrer Stirn in Bestürzung; ganz gedankenlos stotterte er:
»Bist du verwundet? ... Wie unklug, daß du hierher kamst ...«
Mit einer verzweifelten Bewegung unterbrach sie ihn.
»Ach, das ist nichts, bloß eine Schramme ... Aber du! du! Warum halten sie dich hier fest? Sie sollen dich nicht morden!«
Der Offizier befahl den Schützen, auf der versperrtenStraße etwas weiter zurückzutreten.
Weitere Kostenlose Bücher