Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
einzubrechen.
    »Achtung!« schrie der Korporal. »Da kommt ein Fensterladen herunter!«
    Die Gewalt der Kugeln hatte einen der Fensterläden aus seinen Angeln gerissen. Aber Weiß stürzte sich vor und schob einen Schrank gegen das Fenster, so daß Laurent dahinter hervor sein Feuer fortsetzen konnte. Ein Soldat lag mit zerbrochenem Kiefer zu seinen Füßen und verlor viel Blut. Ein anderer erhielt eine Kugel in die Kehle und rollte gegen dieWand, wo er unter krampfhaften Zuckungen des ganzen Körpers endlos röchelte. Sie waren nur noch acht, wenn sie den Hauptmann nicht mitzählten, der gegen das Fußende des Bettes gelehnt dasaß, und weil er zum Sprechen zu schwach war, seine Befehle durch Bewegungen ausdrückte. Ebenso wie der Boden begannen jetzt aber die drei Zimmer des ersten Stockes unhaltbar zu werden, denn die in Fetzen gegangenen Matratzen hielten keine Kugel mehr auf: große Stücke Putz sprangen aus den Wänden und der Decke, die Möbel verloren ihre Kanten, die Wände der Schränke klafften wie von Axthieben gespalten. Und das Schlimmste war, daß es ihnen an Schießbedarf zu fehlen begann.
    »Ist das schade!« brummte Laurent. »Das ging so fein.«
    Weiß hatte eine plötzliche Eingebung.
    »Warten Sie!«
    Er hatte an den toten Soldaten oben auf dem Boden denken müssen. Er kletterte hinauf und durchsuchte ihn nach den Patronen, die er noch bei sich haben mußte. Eine ganze Seite des Daches war abgedeckt, er sah den blauen Himmel wie ein fröhlich leuchtendes Tuch über sich ausgespannt, worüber er in große Verwunderung geriet. Um nicht getötet zu werden, kroch er auf den Knien vorwärts. Als er dann die etwa dreißig Patronen hatte, krabbelte er schleunigst wieder hinunter.
    Wie er aber unten diesen neuen Vorrat mit dem Gärtnerburschen teilte, stieß ein Soldat einen Schrei aus und fiel auf den Bauch. Sie waren nur noch sieben und gleich darauf nur noch sechs, da der Korporal eine Kugel ins linke Auge erhielt, so daß das Gehirn umherspritzte.
    Von diesem Augenblick kam Weiß nichts mehr zum klaren Bewußtsein. Er und die fünf andern fuhren fort, wie Verrückte zu feuern, und brachten ihre Patronen zu Ende, ohneauch nur daran zu denken, daß sie sich ergeben müßten. Der Fußboden war in den drei kleinen Zimmern durch Möbelbruchstücke versperrt. Tote lagen vor den Türen, in einer Ecke stieß ein Verwundeter ein schreckliches, unausgesetztes Jammern aus. Überall klebte Blut unter ihren Sohlen. Ein roter Faden lief die Treppe hinunter. Die Luft war nicht mehr zu atmen, so dick war sie von dem Rauch des verbrannten Pulvers, ein scharfer, brechreizerregender Staub, eine fast völlige Nacht, durch die die Flammen der Schüsse hindurchzuckten.
    »Gottsdonnerwetter!« schrie Weiß. »Sie bringen Geschütze ran!« Es war wahr. Vor Verzweiflung, daß sie mit dieser Handvoll Besessener, die sie so sehr aufhielten, nicht fertig werden konnten, gingen die Bayern daran, an der Ecke des Kirchenplatzes ein Geschütz in Stellung zu bringen. Dann würden sie ja wohl weiterkommen, wenn sie dies Haus mit Kanonenkugeln dem Boden gleichgemacht hätten. Und daß man ihnen soviel Ehre antat, Artillerie gegen sie zu richten, versetzte die Belagerten vollends in wütende Fröhlichkeit; sie spotteten voller Verachtung. Ach! diese verfluchten Feiglinge mit ihrer Kanone! Immer noch kniend zielte Laurent sorgfältig auf die Artilleristen und legte jedesmal seinen Mann um; so gut, daß die Geschützbedienung nicht weiterkommen konnte und fünf oder sechs Minuten vergingen, ehe der erste Schuß fiel. Er ging übrigens zu hoch und nahm nur ein Stück des Daches mit.
    Aber das Ende kam näher. Vergeblich durchsuchten sie die Toten, sie hatten keine einzige Patrone mehr. Erschöpft, verstört tasteten die sechs umher und suchten nach Gegenständen, die sie aus den Fenstern herunterwerfen könnten, um den Feind zu erschlagen. Einer von ihnen, der sich fluchendund die Fäuste schwingend zeigte, fiel von einem Bleihagel durchlöchert; und sie blieben nur noch fünf. Was tun? Heruntergehen und versuchen, durch den Garten und die Wiesen zu entkommen? In diesem Augenblick ertönte unten wüster Lärm, und ein wütender Strom toste die Treppe herauf; das waren die Bayern, die sie endlich umgangen hatten und nun durch die eingebrochene Hintertür das Haus betraten. In den kleinen Zimmern entspann sich zwischen den herumliegenden Leichen und Möbelstücken ein furchtbares Handgemenge. Einem der Soldaten wurde die Brust durch einen

Weitere Kostenlose Bücher