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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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schweigender Wut in eine Hand, die ihre Zähne gerade fanden. Der Bayer stieß einen wilden Schmerzensschrei aus. Er warf sie nieder und hätte sie fast umgebracht. Ihre Gesichter berührten sich; nie konnte sie diesen roten Bart und die roten, mit Blut beschmiertenHaare, die weit aufgerissenen, vor Wut ganz verdrehten Augen vergessen.
    Henriette konnte sich später nicht mehr klar an das erinnern, was dann vorgegangen war. Sie hatte nur den einen Wunsch, wieder zu dem Leichnam ihres Gatten zurückzukehren, ihn zu umfassen und zu bewachen. Aber wie in einem Alpdruck erhoben sich alle möglichen Hindernisse vor ihr und hielten sie bei jedem Schritt auf. Von neuem brach lebhaftes Gewehrfeuer los, und eine mächtige Bewegung entstand unter den deutschen Truppen, die Bazeilles besetzt hatten: das war das endliche Eintreffen der Marineinfanterie; und der Kampf ging mit derartiger Heftigkeit wieder los, daß die junge Frau unter einen Haufen vor Furcht ganz närrisch gewordener Einwohner nach links in ein Gäßchen mit fortgerissen wurde. Das Ergebnis des Kampfes konnte übrigens nicht zweifelhaft sein; es war zu spät, die aufgegebenen Stellungen wieder zu nehmen. Noch eine halbe Stunde lang setzte die Infanterie alles daran und ließ sich mit wunderbarer Hingebung hinschlachten; aber unaufhörlich erhielt der Feind Verstärkungen, überall her aus den Wiesen, den Straßen und dem Park von Montivillers brachen sie hervor. Jetzt hätte nichts ihn wieder aus dem Orte herausgebracht, der teuer damit erkauft war, daß Tausende der Seinigen in ihm in Blut und Flammen lagen. Jetzt mußte die Zerstörung ihr Werk vollenden; nur noch ein Weinhaus voll zerstreuter Gliedmaßen und rauchender Überreste stand da, Bazeilles war erwürgt, vernichtet und zerfiel in Asche.
    Eim letztes Mal sah Henriette von weitem noch ihr kleines Haus, dessen Fußböden gerade unter einem Wirbel kleiner Flämmchen zusammenstürzten. Immer noch sah sie sich gegenüber den Körper ihres Mannes an der Mauer liegen.
    Aber von neuem ergriff sie die Strömung, Hörner ertönten zum Rückzuge; und ohne zu wissen wie, wurde sie von den zurückflutenden Truppen mitgerissen. Jetzt war sie nur noch ein Ding, ein hin und her rollendes Wrack, das in dem undeutlichen Getrappel der Menge, die sich über die ganze Straßenbreite ergoß, mitgeführt wurde. Sie fühlte nichts mehr und fand sich schließlich in Balan bei unbekannten Menschen wieder, wie sie in der Küche den Kopf auf den Tisch gelegt hatte und schluchzte.
     

5.
    Die Kompanie Beaudouin lag um zehn Uhr morgens auf der Algierhochebene immer noch im Kohl, in demselben Felde, aus dem sie sich seit dem Morgen nicht gerührt hatte. Das Kreuzfeuer der Batterien vom Hattoy und von der Halbinsel von Iges hatte sich an Heftigkeit noch verdoppelt und noch zwei ihrer Leute getötet; aber es kam kein Befehl zum Vorrücken: sollten sie den ganzen Tag da liegenbleiben und sich beschießen lassen, ohne selbst zu fechten?
    Die Leute hatten nicht einmal mehr den Trost, ihre Chassepots losbrennen zu dürfen. Es war Hauptmann Beaudouin endlich gelungen, das Feuer zu stopfen, die wütende, unnütze Schießerei auf das kleine Holz ihnen gegenüber, in dem scheinbar kein Preuße dringeblieben war. Der Sonnenschein wurde niederdrückend, die Leute verbrannten so auf der Erde, unter dem flammenden Himmel hingestreckt.
    Als Jean sich umdrehte und sah, daß Maurice den Kopf mit der Backe gegen den Erdboden hatte fallen lassen und seine Augen geschlossen waren, wurde er unruhig. Er war sehr blaß, sein Gesicht unbeweglich.
    »Na? was ist denn?«
    Aber Maurice war lediglich eingeschlafen. Die ermattende Spannung hatte ihn überwältigt, trotzdem der Tod von allen Seiten um ihn herumflog. Ungestüm fuhr er auf, seine weit geöffneten Augen schienen ganz ruhig, aber sogleich trübten sie sich wieder aus Entsetzen vor der Schlacht. Er hatte keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte. Es schien ihm, als käme er aus einem unendlichen, köstlichen Nichts.
    »Sieh, wie spaßhaft, ich habe geschlafen,« sagte er leise; »ach! das hat mir gutgetan.«
    Tatsächlich fühlte er in den Schläfen und in der Seite den schmerzhaften Druck jetzt weniger, dies Einschnüren, mit der die Furcht den Leuten die Knochen bricht. Er scherzte über Lapoulle, der seit Chouteaus und Loubets Verschwinden sich sehr besorgt um sie zeigte und davon redete, er wollte sie suchen. Ein prächtiger Gedanke, sich so hinter einem Baum in Sicherheit zu bringen und eine

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