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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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ganz steif vor so viel Erde in den Gelenken. Nach den ersten Schritten aber mußten sie sich in einen zufällig vorgefundenen Laufgraben werfen, so lebhaft wurde das Feuer. Mit gebogenen Knien ging es weiter.
    »Achtung, mein Junge!« sagte Jean mehrfach zu Maurice gewandt, »dies ist der richtige Scheuersack ... Laß die Nasenspitze nicht herausgucken, sie schlagen sie dir sicher kaputt ...Und nimm die Knochen gehörig in acht, wenn du sie nicht hier liegen lassen willst. Wer diesmal hier rauskommt, der ist ein ordentlicher Kerl.«
    Bei dem Sausen und dem Geschrei der Masse, das ihm den Kopf anfüllte, konnte Maurice ihn kaum verstehen. Er wußte gar nicht mehr, ob er Angst habe, und lief mitgerissen, ohne jeden persönlichen Willen, in dem Galopp der übrigen mit, nur in dem einen Gedanken, es möchte gleich zu Ende sein. Er war so sehr zu einem Wassertropfen in diesem dahinbrausenden Strome geworden, daß, als sich am Ende des Laufgrabens vor dem nackten, nun zu überschreitenden Gelände ein Zurückstauen bemerkbar machte, er sich sofort von der allgemeinen Panik erfaßt fühlte und drauf und dran war, die Flucht zu ergreifen. Der Naturtrieb in ihm war entfesselt, seine Muskeln lehnten sich auf und gaben auch der unbestimmtesten Eingebung nach.
    Schon wandten sich einzelne Leute um, als der Oberst sich ihnen entgegenwarf.
    »Kinder, hört mal, ihr werdet mir doch den Schmerz nicht machen und euch wie Feiglinge benehmen ... Denkt daran, daß die 106er noch nie zurückgegangen sind und daß ihr die ersten sein würdet, die unsere Fahne durch den Schmutz zögen ...«
    Er trieb sein Pferd an und versperrte den Flüchtlingen den Weg; für jeden fand er ein Wort und sprach zu ihnen von Frankreich mit einer Stimme, in der es von Tränen zitterte.
    Leutnant Rochas fühlte sich derart gepackt, daß er in furchtbaren Zorn geriet und mit erhobenem Degen wie mit einem Knüppel auf die Leute loshieb.
    »Dreckschweine, mit Fußtritten in den Hintern werde icheuch da hinaufbringen! Wollt ihr gehorchen, oder ich breche dem ersten, der sich umdreht, den Hals!«
    Aber diese Heftigkeit, dies Insfeuerbringen der Soldaten mit Fußtritten war dem Oberst zuwider.
    »Nein, nein, Herr Leutnant, sie gehen schon mit mir ... Nicht wahr, Kinder, ihr werdet doch nicht euren alten Oberst sich ganz allein mit den Preußen herumschlagen lassen? ... Vorwärts, dort hinauf!«
    Wieder ging er voran, und tatsächlich folgten ihm alle; er hatte in so prächtig väterlicher Weise zu ihnen gesprochen, daß sie ihn nicht im Stiche lassen konnten, wenn sie sich nicht wie Nichtswürdige benehmen wollten. Er ritt übrigens, auf seinem großen Gaul ganz allein über die kahlen Felder, während die Leute sich zerstreuten und in Schützenlinien unter Ausnutzung jeder vorhandenen Deckung vorgingen. Das Gelände stieg an, und sie hatten fünfhundert Meter Stoppelacker und Felder mit roten Rüben vor sich, ehe sie an den Kalvarienberg herankamen. Anstatt des vorbildlichen Angriffs, wie er im Manöver vorkommt, sah man die Soldaten bald nur noch mit gekrümmtem Rücken über die Erde dahingleiten; einzeln oder in kleinen Gruppen kletterten sie mit plötzlichen Insektensprüngen vorwärts, und geschickt und gerissen gewannen sie den Gipfel. Die feindlichen Batterien mußten sie gesehen haben, denn jetzt wühlten Granaten die Erde in solcher Anzahl auf, daß ihr Bersten gar nicht mehr aufhörte. Fünf Leute wurden getötet, ein Leutnant wurde mitten durchgerissen.
    Maurice und Jean hatten das Glück, eine Hecke zu finden, hinter der sie weiterrennen konnten, ohne gesehen zu werden. Einem ihrer Kameraden wurde indessen die Schläfe von einer Kugel durchbohrt und er fiel ihnen zwischen die Beine.
    Sie mußten ihn mit dem Fuße beiseite schieben. Aber Tote wurden gar nicht mehr gezählt, es wurden zu viele. Schließlich berührte sie der Schrecken des Schlachtfeldes mit all den furchtbaren Todeskämpfen gar nicht mehr; sie sahen einen Verwundeten, der seine Eingeweide brüllend zurückhielt, ein Pferd schleppte sich mit zerbrochenen Schenkeln weiter. Sie litten nur unter der erdrückenden Hitze der Mittagssonne auf ihren Schultern.
    »Hab' ich einen Durst!« stotterte Maurice. »Ich glaube, ich habe Ruß in der Kehle. Merkst du nicht auch diesen Brandgeruch, wie von verbrannter Wolle?«
    Jean nickte mit dem Kopfe.
    »Bei Solferino roch es genau so. Vielleicht riecht der Krieg so ... Wart', ich habe noch etwas Branntwein, wir wollen einen Schluck nehmen.«
    Sie blieben

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