Der Zusammenbruch
Schlachtfelde gekommen sind ...«
Sie unterbrach sich und warf einen Blick auf die große Treppe.
»Halt! Da kommt gerade einer von den Generälen ... Und da kommt der andere auch!«
Rasch trat er hinaus und erkannte die Generale Douay und Ducrot, deren Pferde auf sie warteten. Er sah sie sich wieder in den Sattel schwingen und davonrasen. Nach Aufgabe der Hochebene von Illy waren sie jeder von seiner Seiteherangeeilt, um den Kaiser davon zu benachrichtigen, die Schlacht sei verloren. Sie klärten ihn genau über die Sachlage auf, wie die Armee und Sedan von allen Seiten umzingelt wären und ein furchtbares Unheil hereinbreche.
Der Kaiser ging in seinem Zimmer mit seinen taumelnden Krankenschritten ein paar Minuten schweigend auf und ab. Nur ein Adjutant war noch bei ihm, der stumm neben der Türe stand. Er aber ging immer zwischen Ofen und Fenster hin und her, das Gesicht furchtbar entstellt und gerade jetzt von einem nervösen Zwinkern durchzuckt. Sein Rücken schien sich wie unter dem Zusammenbruch einer Welt noch mehr zu krümmen; sein erstorbenes, von den schweren Augenlidern halb verhülltes Auge drückte die Ergebenheit jemandes aus, der fest an das Schicksal glaubt, der sein letztes Spiel dagegen gewagt hat und verloren sieht. Jedesmal indessen, wenn er an das halb offene Fenster kam, hielt ihn ein Zusammenfahren dort eine Sekunde fest.
Bei einer diesen kurzen Pausen machte er eine zitternde Bewegung und flüsterte:
»O dies Schießen, dies Schießen, das ich nun schon den ganzen Morgen hören muß!«
Das Grollen der Batterien von der Marfée und Frénois tönte in der Tat mit außergewöhnlicher Deutlichkeit herüber. Von ihrem Donnerrollen zitterten die Fenster und selbst die Mauern mit hartnäckigem, unaufhörlichem, zur Verzweiflung bringendem Lärm. Er mußte wohl denken, wie der Kampf jetzt ganz hoffnungslos geworden sei und daß jeder weitere Widerstand ein Verbrechen bedeute. Was sollte weiteres Blutvergießen jetzt noch nutzen, all die zermalmten Glieder und abgerissenen Köpfe, die Vernichtung der bereits Gefallenen? Wenn sie doch einmal besiegt waren und alles zuEnde, warum sollte dann das Gemetzel weitergehen? Es schrien so schon genug Scheußlichkeiten und Schmerzen zur Sonne empor.
Wieder fing der Kaiser an zu zittern, als er das Fenster erreichte, und hob die Hände empor.
»O dies Schießen, dies unaufhörliche Schießen!«
Vielleicht stieg jetzt der Gedanke an die furchtbare Verantwortung wie eine Erscheinung all der blutenden Leichname in ihm auf, die seine Fehler dort draußen zu Tausenden hingestreckt hatten; vielleicht war es auch nur das Mitleid seines gefühlvollen Träumerherzens, eines guten Menschen, den menschenfreundliche Gedanken quälten. Unter diesen furchtbaren Schicksalsschlägen, die sein ganzes Glück wie einen Strohhalm zerbrachen, fand er in seiner Verzweiflung über das fortgesetzte unnütze Morden, das er nicht länger ertragen konnte, noch Tränen für andere. Das verbrecherische Geschützfeuer zerriß ihm jetzt das Herz und verdoppelte sein Elend.
»O dies Schießen, dies Schießen, lassen Sie es sofort zum Schweigen bringen, sofort!«
Und so erlebte der Kaiser, der keinen Thron mehr besaß, da er seine Machtvollkommenheit der Kaiserin-Regentin anvertraut hatte, dieser Oberbefehlshaber eines Heeres, dem er nichts mehr zu befehlen hatte, da er dem Marschall Bazaine den Oberbefehl abgetreten hatte, jetzt noch ein letztes Wiedererwachen seiner Macht in dem unwiderstehlichen Drange, sich noch ein letztes Mal als Herrn zu zeigen. Seit Châlons hatte er sich selbst ausgeschaltet, keinen Befehl hatte er mehr erteilt und sich darauf beschränkt, eine namenlose, nur Verlegenheit erzeugende Unnützlichkeit zu spielen, einen Packen, der als höchst überflüssig mit dem Gepäck seiner Truppenmitgeführt wurde. Aber er erwachte nur noch einmal zu seiner Kaiserwürde, um seine Niederlage zu erleben; der erste und einzige Befehl, den er in der Verwirrung seines mitleidigen Herzens noch geben durfte, das sollte der sein, auf der Zitadelle die weiße Fahne zu hissen, um Waffenstillstand zu verlangen.
»O dies Schießen, dies Schießen! ... Nehmen Sie ein Laken, ein Tischtuch, einerlei was! Laufen Sie rasch und bringen Sie es zum Schweigen!«
Der Adjutant trat schleunigst ab, und der Kaiser setzte seinen taumelnden Gang zwischen Fenster und Ofen fort, während die Batterien immer weiter donnerten, daß das ganze Haus bebte.
Delaherche plauderte unten noch mit Rosa, als
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