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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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aus dem das Leben in breiten Strömen von dannen floß; innere Blutungen, die man so gar nicht bemerken konnte, ließen die Leute wie vom Blitz getroffen zusammenbrechen, so daß sie im selben Augenblick noch fieberten und dann schwarz wurden. Schließlich hatten die Köpfe doch am meisten gelitten: zerschmetterte Kinnbacken, Zähne und Zunge in einer blutigen Masse; leere Augenhöhlen, halb ausgerissene Augen, offene Schädel, die das Gehirn sehen ließen. Alle die, denen die Kugel Rückenmark oder Gehirn verletzt hatte, lagen wie tot da in dem gänzlichen Verfall des Starrkrampfes, während die mit Knochenbrüchen fieberhaft unruhig waren und mit leiser, flehender Stimme um etwas zu trinken baten.
    Unter dem Schuppen daneben, in dem operiert wurde, gab es dann neue Schrecken. In diesem ersten Andrange wurde nur in ganz dringenden Fällen, wenn der verzweifelte Zustand der Verwundeten es notwendig machte, zur Operation geschritten. Lag die Gefahr einer Blutung vor, so entschied Bouroche sich sofort zu amputieren. Ebenso wartete er auch nicht, wenn es sich darum handelte, tiefsitzende Kugeln in den Wunden aufzusuchen und sie zu entfernen, sobald sie an einer gefährlichen Stelle saßen, wie etwa unten am Halse, in der Achselgegend, am Schenkelansatz oder im Ellbogen oder der Kniekehle. Andere Wunden, die er zunächst beobachten wollte, wurden von den Pflegern nur nach seinen Angaben verbunden. Er hatte allein schon vier Amputationen gemacht, aber in Zwischenräumen, indem er zwischen so ernsten Operationen ein paar Kugeln entfernte, um sichauszuruhen; er begann nämlich müde zu werden. Nur die zwei Tische standen da, seiner und ein anderer, an dem einer seiner Hilfsärzte arbeitete. Zwischen beiden war ein Tuch ausgespannt worden, damit sich die Operierten nicht gegenseitig sehen konnten. Trotz allen Abwaschens blieben die Tische blutig; und die Eimer, die man in ein paar Schritt Entfernung über ein Margueritenbeet ausgegossen hatte, Eimer von einer Größe, daß ein Glas Blut ausgereicht hätte, klares Wasser in ihnen rot zu färben, schienen Eimer voll reinem Blut gewesen zu sein, und durch ihre Entleerung sahen sämtliche Blumen auf dem Rasen wie mit Blut übergossen aus. Wenn auch die Luft freien Zutritt hatte, so lagerte über diesen beiden Tischen, dem Leinenzeug und den Bestecken in dem süßlichen Chloroformgeruch doch ein Brechreiz.
    Delaherche, der im Grunde mitleidig war, schauerte vor Mitgefühl zusammen, als die Einfahrt eines Landauers durch den Torweg seine Aufmerksamkeit erregte. Es war zweifellos nur noch ein herrschaftliches Fuhrwerk aufzutreiben gewesen, und Verwundete waren darin übereinandergehäuft. Überrascht stieß der Fabrikant einen Schreckensschrei aus, als er in dem zuletzt ausgeladenen Verwundeten Hauptmann Beaudouin erkannte.
    »Oh, mein armer Freund! ... Warten Sie, ich rufe gleich meine Mutter und meine Frau!«
    Sie liefen schon herbei und überließen die weitere Sorge um das Aufwickeln der Binden zwei Dienstmädchen. Die Lazarettgehilfen hatten den Hauptmann schon angepackt und in den Saal getragen; sie wollten ihn gerade auf einen Strohhaufen legen, als Delaherche einen Soldaten mit erdfarbenem Gesicht und offenen Augen bemerkte, der sich nicht rührte.
    »Sagen Sie mal, der da ist doch tot!«
    »Sieh, wahrhaftig!« flüsterte einer der Lazarettgehilfen. »Der braucht uns auch nicht länger im Wege zu liegen!«
    Er und sein Gefährte nahmen den Körper und trugen ihn auf den hinter den Goldregenbüschen eingerichteten Leichenhaufen. Ein Dutzend Tote lagen hier schon im letzten Todesröcheln erstarrt nebeneinander, die einen mit ausgestreckten Füßen, als ob der Schmerz sie ausgereckt hätte, andere wieder ganz krumm in gräßlichen Stellungen. Einige schienen mit ihren weißen Augen noch zu grinsen und zeigten die Zähne unter hochgezogenen Lippen; die meisten dagegen sahen so aus, als weinten sie mit ihren langen, so furchtbar traurigen Gesichtern noch dicke Tränen. Ein sehr Junger, klein und mager, dem der halbe Kopf weggerissen war, preßte mit krampfhaften Händen noch das Bild einer Frau ans Herz, eins jener bekannten, blassen Vorstadtlichtbilder, das stark mit Blut bespritzt war. Zu Füßen der Toten häuften sich in wirrem Durcheinander abgeschnittene Arme und Beine, all der Abfall der Operationstische, der Kehrichthaufen eines Schlachterladens, auf dem alles abfallende Fleisch und Knochen zusammengeworfen wird.
    Gilberte begann beim Anblick Hauptmann Beaudouins zu

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