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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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zittern. Mein Gott! Wie bleich er war, als er so mit seinem weißen, mit allem möglichen Schmutz bedeckten Gesicht auf der Matratze dalag! Und der Gedanke, wie sie ihn noch vor wenigen Stunden voller Leben und so gut riechend in ihren Armen gehalten hatte, ließ sie vor Schrecken zu Eis erstarren.
    »Wie furchtbar, lieber Freund! Aber es ist nichts, nicht wahr?«
    Wie ganz selbstverständlich hatte sie ihr Taschentuch herausgenommen und ihm das Gesicht abgewischt, denn sie hielt esnicht aus, ihn so von Schweiß, Erde und Pulver verschmutzt zu sehen. Es schien ihm eine große Erleichterung zu gewähren, daß sie ihn ein wenig reinigte.
    »Nicht wahr? Es ist doch nichts, es ist doch nur Ihr Bein!«
    In seiner Schlaftrunkenheit machte es dem Hauptmann Mühe, die Augen zu öffnen. Er erkannte indessen seine Freunde wieder und versuchte ihnen zuzulächeln.
    »Ja, es ist lediglich das Bein ... Ich habe den Schuß gar nicht gefühlt; ich glaubte, ich wäre fehlgetreten und dadurch gestürzt ...«
    Aber er sprach nur mit Anstrengung.
    »Ach, ich bin so durstig, ich bin so durstig!«
    Nun eilte Frau Delaherche, die sich von der andern Seite über den Rand der Matratze gebeugt hatte, davon. Sie holte schleunigst ein Glas und eine Karaffe mit Wasser, in das sie etwas Kognak hineingoß. Als der Hauptmann das Glas mit Gier geleert hatte, mußte sie den Rest der Karaffe den neben ihm liegenden Verwundeten zuteilen: alle Hände streckten sich aus, brennende Blicke flehten sie an. Ein Zuave, der nichts mehr abkriegte, brach in Schluchzen aus.
    Delaherche versuchte währenddessen mit dem Stabsarzt zu sprechen, um eine besondere Vergünstigung für den Hauptmann zu erwirken. Bouroche war gerade wieder mit blutiger Schürze und schweißüberströmtem Gesicht, das seine Löwenmähne in Brand zu stecken schien, in den Saal getreten; während er hindurchschritt, erhoben sich die Leute und wollten ihn festhalten, um Hilfe, und Gewißheit von ihm zu erlangen: »Ich, ich, Herr Stabsarzt, ich!« Stammelnde Bitten folgten ihm, tastende Finger berührten seine Kleidung. Aber geschäftsmäßig ordnete er, vor Müdigkeit schnaufend, seine Arbeit, ohne auf irgend jemand zu hören. Er redete mit lauterStimme, während er sie an den Fingern nachzählte, und gab ihnen Nummern je nach ihrer Bedeutung: der hier und der, dann der andere da; eins, zwei, drei; ein Kinnbacken, ein Arm, ein Schenkel; der Hilfsarzt, der ihm folgte, mußte genau zuhören, um sich richtig zu erinnern.
    »Herr Stabsarzt,« sagte Delaherche, »da liegt ein Hauptmann, Hauptmann Beaudouin ...«
    Bouroche unterbrach ihn.
    »Was, Beaudouin ist hier? ... Ach, der arme Teufel!«
    Er ging und blieb vor dem Verwundeten stehen. Aber auf den ersten Blick sah er, wie schwer der Fall lag, denn er fing sofort, ohne das getroffene Bein nur erst einmal nachzusehen, wieder an:
    »Gut! Der hier muß mir sofort gebracht werden, sowie ich mit der Operation fertig bin, die jetzt vorbereitet wird.«
    Er ging wieder in den Schuppen zurück, und Delaherche folgte ihm, denn er wollte nicht locker lassen, aus Furcht, sein Versprechen möchte in Vergessenheit geraten.
    Diesmal handelte es sich um eine Schulterauslösung nach der Methode von Lisfranc, eine feine und genaue Arbeit, die kaum vierzig Sekunden dauert. Der Patient wurde schon chloroformiert, und ein Hilfsarzt hielt mit beiden Händen seine Schulter, vier Finger in der Achselhöhle und den Daumen obenauf. Nachdem Bouroche dann befohlen hatte: »Aufsetzen!« packte er, mit seinem großen Messer bewaffnet, den Deltoideus, durchstach den Arm und schnitt den Muskel quer durch; dann fuhr er rückwärts unter dem Gelenk durch und löste es mit einem Schnitt aus; der Arm war mit diesen drei Bewegungen abgetrennt und fiel herab. Der Gehilfe hatte seine Daumen vorgleiten lassen, um die Oberarmschlagader zusammenzupressen. »Hinlegen!« Bouroche konnte ein unwillkürlichesLächeln nicht unterdrücken, denn als er ans Verbinden ging, hatte er nur fünfunddreißig Sekunden gebraucht. Er brauchte jetzt nur noch den Fleischlappen wieder über die Wunde herüberzuklappen wie ein flaches Achselstück. In Anbetracht der Gefahr war dies eine hübsche Leistung, denn ein Mensch kann sich aus der Oberarmschlagader in drei Minuten verbluten, ohne dabei zu berücksichtigen, daß es jedesmal Todesgefahr bedeutet, einen unter der Einwirkung von Chloroform liegenden Verwundeten aufrecht hinzusetzen.
    Delaherche fühlte sich zu Eis erstarren und wollte fliehen. Aber

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