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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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wieder nach der Unterpräfektur zu gehen, denn er fühlte doch, jede Ruhe sei für ihn unmöglich, solange er keine Gewißheit hätte. Unten in der verrammelten Straße packte ihn aber Verzweiflung: er würde niemals die Kraft finden, durch alle diese Hindernisse hin- und zurückzugehen, an die der bloße Gedanke ihm schon die Beine zerbrach. Und so zauderte er,bis er den Stabsarzt Bouroche pustend und fluchend daherkommen sah.
    »Gottsdonnerwetter! Da sollte man ja die Beine bei liegenlassen!«
    Er hatte zum Stadthaus gehen müssen, um sich dort vom Bürgermeister Chloroform zu erbetteln, das ihm gleich bei Tagesanbruch geschickt werden müßte, denn sein Vorrat war erschöpft und es warteten dringende Operationen; er befürchtete daher gezwungen zu sein, die armen Teufel zu schlachten, ohne sie einschläfern zu können, wie er sagte.
    »Na und?« fragte Delaherche.
    »Na und sie wissen nicht mal, ob die Apotheker noch welches haben!«
    Aber dem Fabrikanten war Chloroform ganz gleichgültig. Er fing wieder an:
    »Nein, nein! ... Ist es zu Ende da draußen? Haben sie mit den Preußen unterzeichnet?«
    Der Stabsarzt machte eine wütende Bewegung.
    »Nichts ist geschehen!« schrie er. »Wimpffen kommt gerade wieder herein ... Es scheint, die Räuber da stellen Bedingungen, daß man ihnen ein paar Ohrfeigen runterhauen möchte ... Ach! dann laß es doch wieder losgehen und uns alle verrecken, das wäre noch besser!«
    Delaherche hörte erbleichend zu.
    »Aber ist das wirklich wahr, was Sie mir da erzählen?«
    »Ich hörte es von einem dieser Zivilisten da aus dem Stadtrat, die haben ja Dauersitzung ... Es kam gerade ein Offizier aus der Unterpräfektur, der es ihnen gesagt hatte.«
    Und dann brachte er noch Einzelheiten. Die Zusammenkunft hätte im Schlosse Bellevue bei Donchery stattgefunden, und zwar zwischen General von Wimpffen, General vonMoltke und Bismarck. Ein schrecklicher Mensch, dieser Moltke, trocken und hart, mit dem glatten Gesicht eines rechnenden Chemikers, der eine Schlacht in der Einsamkeit seines Studierzimmers mit Hilfe der Algebra gewann. Er hatte sofort zu entwickeln begonnen, er halte die Stellung der französischen Truppen für verzweifelt: keine Lebensmittel, kein Schießbedarf, Entmutigung und Unordnung, völlige Unmöglichkeit, den eisernen Kreis zu durchbrechen, der sie einschnürte; wogegen die deutschen Heere die stärksten Stellungen besetzt hielten und die Stadt in zwei Stunden in Flammen aufgehen lassen konnten. Er hatte kaltblütig seinen Willen erklärt: das ganze französische Heer mit Waffen und Gepäck gefangen. Bismarck mit seinem gutmütigen Hundegesicht hätte ihn lediglich unterstützt. Nun hatte General Wimpffen sich in Bekämpfung dieser Bedingungen erschöpft, die rohesten, die je einem geschlagenen Heere auferlegt waren. Er hatte von seinem Unglück gesprochen, von der heldenmütigen Tapferkeit der Soldaten, von der Gefahr, ein stolzes Volk zum äußersten zu treiben; drei Stunden lang hatte er gedroht und gefleht, mit verzweifelter, glänzender Beredsamkeit gesprochen und verlangt, sie sollten sich damit zufriedengeben, daß das Heer an der äußersten Grenze Frankreichs, selbst in Algier, außer Gefecht gesetzt wurde; der einzige Nachlaß, den er endlich erreicht hatte, wäre der gewesen, daß die Offiziere, die sich durch ihr schriftlich abgegebenes Ehrenwort verpflichteten, nicht weiter zu dienen, an ihren häuslichen Herd zurückkehren könnten. Schließlich sollte der Waffenstillstand bis zum andern Morgen um zehn Uhr verlängert werden. Wenn um diese Zeit die Bedingungen nicht angenommen wären, würden die preußischen Batterien ihr Feuer wieder eröffnen und die Stadt würde verbrannt.
    »Das ist doch zu dumm!« schrie Delaherche. »Man verbrennt doch keine Stadt, wenn sie es nicht verdient hat.«
    Der Stabsarzt brachte ihn schließlich noch ganz außer sich durch den Zusatz, ein paar Offiziere, die er im Wirtshause de l'Europe gesehen hätte, hätten von einem Massenausfall vor Tagesanbruch geredet. Seit Bekanntwerden der deutschen Forderungen machte sich die höchste Erregung geltend und man befürchtete die ausschweifendsten Pläne. Und der Gedanke, es wäre doch nicht ehrenhaft, die Dunkelheit zu einem Bruche des Waffenstillstandes zu benutzen, ohne ihn vorher zu kündigen, werde keinen Menschen abhalten; ganz verrückte Pläne liefen um, den Marsch auf Carignan über die Bayern hinweg im Schutze der dunklen Nacht wieder aufzunehmen, die Hochebene von Illy

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