Der Zusammenbruch
bis zum Schloß von Villette nach der Seite von Donchery hinziehenden Böschung, das ein anderes bürgerliches, von etwas altem Gemäuer umgebenes Besitztum darstellte; sie biwakierten alle nahe bei der Brücke, dem einzigen Ausgang, in dem Drange nach Freiheit, durch den große Herden an der Schwelle ihrer Gehege an den Eingängen zum Erdrücken getrieben werden.
Jean stieß einen Freudenschrei aus.
»Ach! Da bist du endlich! Ich glaubte schon, du lägest im Flusse!«
Er war da und mit ihm der ganze Rest der Korporalschaft, Page und Lapoulle, Loubet und Chouteau. Diese beiden hatten unter einem der Tore Sedans geschlafen und waren dann bei dem großen Kehraus wieder zu ihnen gestoßen. Bei der ganzen Kompanie befand sich übrigens der Korporal als einziger Führer, da der Tod den Sergeanten Sapin, Leutnant Rochas und Hauptmann Beaudouin hingemäht hatte. Und, obwohl die Sieger alle Gradunterschiede ausgewischt und festgesetzt hatten, die Gefangenen dürften nur den deutschen Offizieren gehorchen, hatten sich doch alle vier wieder um ihn gedrängt, da sie wußten, wie klug und erfahren er wäre und wie gut sie täten, ihm unter diesen schwierigen Verhältnissen zu folgen. Heute morgen herrschten auch trotz derDummheit der einen und der Niedertracht der andern Eintracht und schönste Stimmung unter ihnen. Zunächst hatte er ihnen für die Nacht einen beinahe ganz trockenen Platz zwischen zwei Abzugsgräben ausfindig gemacht, wo sie sich ausstrecken konnten, denn sie hatten alle zusammen nur noch eine Zeltbahn. Dann war er losgezogen, um ihnen einen Kessel und etwas Holz zu besorgen, in dem Loubet ihnen Kaffee gemacht hatte, der sie durch seine schöne Wärme wieder munter machte. Es fiel kein Regen mehr, ein prachtvoller Tag kündigte sich an, und sie hatten noch etwas Zwieback und Speck; und dann war es, wie Chouteau sagte, ein Vergnügen, keinem Menschen mehr gehorchen zu brauchen und nach eigenem Gutdünken bummeln zu können. Was schadete es, wenn sie eingeschlossen waren; Platz genug war ja da. In zwei oder drei Tagen würden sie übrigens ja auch losziehen. Sie fühlten sich so wohl, daß sie diesen Tag, den vierten, der auf einen Sonntag fiel, ganz vergnügt hinbrachten.
Selbst Maurice, der sich innerlich wieder gefestigt fühlte, nachdem er seine Gefährten wiedergetroffen hatte, litt eigentlich nur unter der den ganzen Nachmittag auf der andern Seite des Kanals spielenden preußischen Musik. Gegen Abend gab es Chorgesang. Jenseits der Postenkette sahen sie Soldaten in kleinen Gruppen spazierengehen, um mit langgezogener, hoher Stimme ihren Sonntag durch Gesang zu feiern.
»Ach, diese Musik!« schrie Maurice endlich außer sich. »Die geht einem ja durch Mark und Bein!«
Jean war weniger empfindlich und zuckte die Achseln.
»Gewiß! Die haben doch auch allen Grund, zufrieden zu sein. Und vielleicht glauben sie auch, uns damit die Zeit zuvertreiben ... Der Tag ist doch nicht übel gewesen; wir wollen nicht klagen.«
Aber gegen Ende des Tages fing der Regen wieder an. Das war ein Pech. Ein paar Soldaten waren in die wenigen verlassenen Häuser der Halbinsel eingedrungen. Ein paar andere hatten sich Zelte ausschlagen können. Die überwiegende Mehrzahl mußte ohne jeden Schutz, sogar ohne irgendwelche Bedeckung die Nacht im Freien in einem sintflutartigen Platzregen zubringen.
Gegen ein Uhr morgens wachte Maurice, den die Müdigkeit doch eingeschläfert hatte, in einem wahren See auf. Die Abzugsgräben waren durch den Wolkenbruch angeschwollen und traten über, so daß sie ihren Lagerplatz überschwemmten. Chouteau und Loubet fluchten vor Wut, während Pache Lapoulle schüttelte, der trotz dieser Überschwemmung mit geballten Fäusten weiterschlief. Da dachte Jean an die den ganzen Kanal entlang gepflanzten Pappeln und lief mit seinen Leuten, um sich unter ihnen in Schutz zu bringen, wo sie nun diese greuliche Nacht, halb zusammengeklappt mit dem Rücken gegen die Baumrinde, zubrachten und die Beine unterschlugen, um sie vor den dicken Tropfen zu schützen.
Auch der nächste Tag und der übernächste waren wahrhaft abscheulich bei dem ewigen Durchweichen, das so kräftig war und so häufig stattfand, daß die Kleider gar keine Zeit fanden, auf den Körpern zu trocknen. Der Hunger begann; sie hatten nur noch einen Zwieback, weder Speck noch Kaffee. Zwei Tage lang, den Montag und Dienstag, lebten sie von Kartoffeln, die sie auf den benachbarten Feldern stahlen; und selbst die wurden gegen Ende des zweiten
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