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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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vollständig den Kopf.
    Nach dieser Nacht machte sich Jean dann auch an die Ausführung eines Gedankens, der ihn bereits völlig beherrschte.
    »Höre mal, Junge, wenn sie uns auch nichts zu essen geben und uns in diesem verdammten Loch vergessen, wir müssen uns doch etwas Bewegung machen, wenn wir nicht wie die Hunde verrecken wollen ... Hast du noch Beine?«
    Glücklicherweise war die Sonne wieder hervorgekommen, und Maurice war ganz durchwärmt.
    »Ja, Beine habe ich noch.«
    »Dann wollen wir mal auf Entdeckungen ausgehen ... Wir haben Geld; es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht irgend etwas zu kaufen fänden. Die andern wollen wir uns nicht erst aufpacken, die sind nicht nett; mögen die sich selbst helfen.«
    Tatsächlich stießen Loubet und Chouteau ihn durch ihre argwöhnische Selbstsucht ab; sie stahlen, was sie nur konnten, und teilten nie mit den Kameraden; ebensowenig war aus dem Viech von Lapoulle oder dem Schafskopf von Pache was Vernünftiges herauszuholen.
    So machten sich denn die beiden auf den Weg an der Maas entlang, den Maurice bereits gegangen war. Der Park beim Glaireturm und das Wohnhaus waren ausgeplündert und verwüstet, die Rasenflächen wie durch einen Orkan aufgewühlt, die Bäume niedergeschlagen, die Gebäude vollgepfropft. Ein zerlumpter Haufen schmutzbedeckter Soldaten mit hohlen Backen und fieberglänzenden Augen hauste hier wie die Zigeuner; wie Wölfe lebten sie in den schmutzigen Räumen, die sie nicht zu verlassen wagten, weil sie fürchteten, ihren Platz für die Nacht zu verlieren. Weiterhin an den Abhängen kamen sie an Artillerie und Kavallerie vorbei, die bis dahin so ordentlich ausgesehen hatten, aber nun gleichfalls abgerissen waren und unter den Qualen des Hungers in Unordnung gerieten; machte der doch sogar die Pferde verrückt und jagte die Menschen in zerstörungswütigen Banden über die Felder. Zu ihrer Rechten sahen sie einen unendlichen Schwanz von Artilleristen und Chasseurs d'Afrique langsam an der Mühle vorbeiziehen: der Müller verkaufte ihnen Mehl und gab ihnen für einen Franc zwei Händevoll in ihr Taschentuch. Aber die Furcht, zu lange warten zu müssen, ließ sie weitergehen, denn sie hofften im Dorfe Iges etwas Besseres zu finden; sie waren aber ganz verdutzt, als sie es dann in seiner traurigen Nacktheit wie ein algerisches Dorf nach dem Vorüberziehen eines Heuschreckenschwarmes vorfanden: keine Krume von Lebensmitteln war mehr da, weder Brot noch Gemüse noch Fleisch; die jämmerlichenHäuser standen da wie mit den Nägeln ausgekratzt. Es hieß, General Lebrun wäre bei dem Ortsvorsteher abgestiegen. Vergeblich hatte er, um dadurch die Verpflegung der Truppen zu erleichtern, versucht, eine Bezahlung durch Gutscheine einzurichten, die nach dem Feldzuge ausbezahlt werden sollten. Es gab einfach nichts mehr, Geld war unnütz. Noch am Tage vorher waren zwei Francs für den Zwieback bezahlt, eine Flasche Wein kostete sieben Francs, ein Glas Branntwein zwanzig Sous, eine Pfeife Tabak zehn Sous. Jetzt mußten Offiziere das Haus des Generals ebenso wie die andern Gebäude mit dem Säbel in der Hand schützen, denn fortwährend brachen Banden von Plünderern die Türen ein und stahlen sogar das Lampenöl zum Trinken.
    Drei Zuaven riefen Jean und Maurice an. Zu fünfen könnte man ein gutes Geschäft machen.
    »Kommt doch, da sind Pferde, die umfallen, und wenn wir nur trockenes Holz hätten ...«
    Dann stürzten sie sich auf ein Bauernhaus, schlugen die Schranktüren ein und rissen selbst das Stroh vom Dache. Im Laufschritt herankommende Offiziere bedrohten sie mit dem Revolver und jagten sie fort.
    Als Jean sah, wie ein paar in Iges zurückgebliebene Einwohner genau so elend und verhungert aussahen wie die Soldaten, bedauerte er, daß sie das Mehl bei der Mühle verschmäht Hütten.
    »Wir müssen zurück, vielleicht gibt's noch was.«
    Aber Maurice begann sich so schlaff zu fühlen, so erschöpft durch die Leere, daß Jean ihn in einem der Steinbrüche in einem Felsloch sitzen ließ, gegenüber dem weiten Rundblick auf Sedan. Er selbst kam, nachdem er drei Viertelstunden lang in der Kette gestanden hatte, mit einem Lappen vollMehl wieder. Sie besaßen keine andere Möglichkeit, als es händeweise so zu essen. Es war nicht schlecht, hatte keinen Geruch und schmeckte nm fade wie Teig. Und trotzdem gab dies Frühstück ihnen wieder etwas Kräfte. Sie hatten sogar das Glück, in dem Felsen eine natürliche Ansammlung von Wasser zu finden, das

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