Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
Tages so selten, daß die Soldaten, die Geld hatten, sie sich für fünf Sous das Stück kauften. Wohl ertönten die Hörner zur Verteilung,und der Korporal rannte auch schleunigst nach einem großen Schuppen beim Glaireturm, wo, wie es hieß, Brot ausgeteilt würde. Aber das erstemal wartete er drei Stunden lang unnütz; das zweitemal kriegte er Streit mit einem Bayern. Wenn die französischen Offiziere bei ihrer Ohnmacht nichts ausrichten konnten, hatte der deutsche Generalstab die gefangenen Truppen denn hier so im Regen untergebracht, um sie vor Hunger verrecken zu lassen? Es schien keine Vorsichtsmaßregel getroffen zu sein, keinerlei Anstrengung wurde gemacht, um diese achtzigtausend Mann in ihrem beginnenden Todeskampfe zu ernähren, in dieser schrecklichen Hölle, die die Soldaten das Jammerlager zu nennen begannen, eine Bezeichnung voll derartigen Schreckens, daß auch die Tapfersten eine Gänsehaut dabei bekamen.
    Bei der Rückkehr von diesem langen, unnützen Warten wurde Jean trotz seiner gewohnten Ruhe wütend.
    »Machen sie sich denn lustig über uns, daß sie da blasen, wenn es doch nichts gibt? Gott soll mich verdammen, wenn ich mich weiter drum kümmere!«
    Beim geringsten Appell lief er indessen doch wieder hin. Diese vorschriftsmäßigen Hornrufe waren unmenschlich; sie hatten aber auch noch eine andere Wirkung, die Maurice das Herz zusammenschnürte. Jedesmal, wenn die Hörner ertönten, kamen die auf dem andern Kanalufer frei umherlaufenden französischen Pferde herbei und stürzten sich ins Wasser, um zu ihren Regimentern zu gelangen; denn die wohlbekannten Fanfaren, die sie wie Sporenstiche trafen, machten sie ganz närrisch. Aber erschöpft und aufgeregt, wie sie waren, kamen nur wenige an die Böschung. Sie kämpften erbärmlich und ertranken in so großer Anzahl, daß ihre aufgeblähten treibenden Kadaver den ganzen Kanal verstopften.Die, die wirklich ans Ufer kamen, waren wie von Raserei ergriffen; sie verloren sich im Galopp auf den kahlen Feldern der Halbinsel.
    »Noch mehr Rabenfutter!« sagte Maurice schmerzerfüllt, wenn er sich die beunruhigende Anzahl Pferde vorstellte, die er angetroffen hatte. »Wenn wir noch ein paar Tage hierbleiben, fressen wir uns alle gegenseitig auf ... Ach, die armen Viecher!«
    Die Nacht von Dienstag zum Mittwoch war besonders gräßlich. Und Jean, der sich ernstlich über Maurices fieberhaften Zustand Sorge zu machen begann, zwang ihn, sich in einen Fetzen Decke einzuwickeln, den sie einem Zuaven für zehn Francs abgekauft hatten; er selbst ließ die nicht endenwollende Sintflut in seinem wie ein Schwamm durchtränkten Rock die ganze Nacht über sich ergehen. Der Platz unter den Pappeln wurde unhaltbar: ein Schlammstrom lief über sie hin, die gesättigte Erde ließ das Wasser in tiefen Pfützen stehen. Das Schlimmste war ihr leerer Magen, denn ihre Abendmahlzeit hatte aus zwei roten Rüben bestanden, die sie aus Mangel an trocknem Holz nicht mal hatten kochen können und deren zuckerige Frische sich bald in ein unerträglich brennendes Gefühl verwandelte. Dabei war der Dysenterie noch gar nicht gedacht, die sich, von Ermattung, schlechter Nahrung und der dauernden Feuchtigkeit hervorgerufen, bemerkbar zu machen begann. Mehr als zehnmal streckte Jean, der, den Rücken unmittelbar gegen den Baumstamm, die Beine im Wasser, dasaß, seine Hand nach Maurice aus. Um zu fühlen, ob er sich bei seinem unruhigen Schlafe nicht aufgedeckt hätte. Seit sein Gefährte ihn auf der Ebene von Illy vor den Preußen gerettet hatte, indem er ihn auf seinen Armen davontrug, hatte er diese Schuld hundertfach abbezahlt.Ohne darüber nachzugrübeln, gab er sein eigenes Wesen völlig hin und vergaß sich selbst vollständig über der Liebe zu dem andern; so dunkel dies Gefühl war, so kräftig war es aber auch bei diesem in dauernder Berührung mit der Erde gebliebenen Bauern, der keine Worte für den Ausdruck seiner Gefühle fand. Er hatte sich sonst schon immer den Bissen aus dem Munde gerissen, wie die Leute der Korporalschaft sagten; jetzt hätte er auch noch sein eigenes Fell hingegeben, um den andern darin einzuwickeln, ihm die Schultern zu schützen, seine Füße zu wärmen. Und inmitten der sie umgebenden Selbstsucht verdankte er vielleicht in diesem Winkel voll Menschenleides, wo der Hunger alle Begierden noch anstachelte, dieser unvorhergesehenen Wohltat die Bewahrung seiner ruhigen Stimmung und seiner guten Gesundheit; denn er allein war noch fest und verlor nicht

Weitere Kostenlose Bücher