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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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was sich seit Beginn des Feldzuges in ihm aufgespeichert hatte, stieg ein Fieber, eine ungewöhnliche, nervöse Überreizung in ihm empor. Der Anblick seines mit dem Tode ringenden Freundes, das Gefühl der eigenen Niederlage, wie er so nackt, waffenlos, zu nichts gut, dasaß, der Gedanke, daß all seine heldenmütigen Anstrengungen in derartigem Jammer ihr Ende finden sollten, stürzten ihn mit wildem Zwange in Auflehnung gegen das Schicksal. Endlich fing er an zu sprechen. »Nein, nein! Nichts ist zu Ende! Nein, ich muß sofort weiter... Nein, weil er jetzt für Wochen, für Monate vielleicht hier liegen muß, brauche ich jedoch nicht stilliegen, ich will sofort weiter... Nicht wahr, Doktor, Sie helfen mir, Sie machen es mir möglich, durchzukommen und nach Paris zu gelangen!«
    Zitternd schloß Henriette ihn in ihre Arme.
    »Was sagst du da? So schwach wie du bist, nach all dem Leiden! Ich halte dich fest, ich lasse dich nicht so weg... Hast du nicht deine Schuld abgetragen? Denk' doch auch etwas an mich, wenn du mich hier allein zurückläßt, wo ich doch jetzt niemand außer dir habe.«
    Ihre Tränen vermengten sich. In ihrer gegenseitigen Anbetung umarmten sie sich glühend mit der Zärtlichkeit von Zwillingen, die schon von jenseits der Geburt herstammt und daher wohl so innig ist. Aber er wurde nur noch aufgeregter.
    »Ganz gewiß, ich muß fort... Sie warten auf mich, und ich stürbe vor Sehnsucht, wenn ich nicht hinginge... Dukannst dir nicht denken, wie es in mir kocht, wenn ich mir sage, ich soll mich ruhighalten! Ich sage dir, so darf das nicht ausgehen, wir müssen uns rächen; am wem, an was? – ach, das weiß ich selbst nichts aber rächen müssen wir uns für all das Unheil, wenn wir noch den Mut zum Weiterleben behalten sollen!"
    Doktor Dalichamp, der diesem Vorgange mit großem Anteile folgte, hielt Henriette durch Zeichen davon ab, ihm zu antworten. Wenn Maurice erst einmal geschlafen hätte, würde er zweifellos ruhiger werden; und er schlief den ganzen Tag, die ganze folgende Nacht, länger als zwanzig Stunden, ohne ein Glied zu rühren. Allein am folgenden Morgen trat bei seinem Aufwachen sein Entschluß, weiterzugehen, unerschütterlich wieder hervor. Er hatte kein Fieber mehr, er war düster und unruhig und beeilte sich, allen Versuchen, ihn zu beruhigen, auszuweichen, sowie er sie bemerkte. Seine Schwester begriff unter Tränen, daß sie ihn nicht drängen dürfe. Und Doktor Dalichamp versprach ihm bei seinem Besuch, ihm durch die Papiere eines in Rancourt gestorbenen Hilfspflegers die Wucht, zu erleichtern. Maurice sollte die graue Bluse und die Armbinde mit dem roten Kreuz nehmen und, dann durch Belgien sich wieder nach Paris durchschlagen, das noch offen war.
    Er verließ den Hof an diesem Tage nicht mehr und verbarg sich, um auf die Nacht zu warten. Er tut kaum den Mund auf, versuchte aber doch, Prosper mitzukriegen.
    »Sagt mal, reizt Euch das gar nicht, die Preußen wieder zu sehen zu kriegen?«
    Der ehemalige Choiffeur d'Afrique, der gerade ein Käsebutterbrot aß, hob sein Messer in die Luft.
    »Ach! Nach dem, was wir davon zu sehen gekriegt haben,ist das kaum der Mühe wert! ... Wenn wir doch schon mal zu nichts gut sind, wir von der Kavallerie, als daß wir uns totschlagen lassen, wenn alles vorbei ist, weshalb soll ich dann wieder mitgehen? ... Nein wahrhaftig, die sind mir zu dumm gekommen, sie haben uns ja nichts Ordentliches tun lassen!«
    Sie schwiegen, und dann fing er, offenbar um das Unbehagen seines Soldatenherzens zu unterdrücken, wieder an:
    »Und dann gibt's hier jetzt auch zu viel zu tun. Da kommt das große Pflügen und dann das Säen. Müssen doch auch an das Land denken, nicht? Wenn das auch Spaß, macht, zu fechten, was soll denn aber werden, wenn, nicht mehr gepflügt wird? ... Ihr, seht, ich kann die Arbeit nicht liegen lassen. Nicht weil Vater Fouchard ein vernünftiger Kerl ist, denn ich habe so 'ne Ahnung, als würde ich wohl nichts davon zu sehen kriegen, wie dem sein Geld aussieht; aber das Vieh mag! mich schon ganz gern leiden, und Wahrhaftig! – als ich heute morgen da so bei dem Stück am Vieux-Clos stand, da sah ich so von weitem nach dem verdammten Sedan hinüber und war doch ganz froh, daß ich so im Sonnenschein ganz allein mit meinen Viechern meinen Pflug führen konnte.«
    Sowie es dunkel geworden war, kam Doktor Dalichamp mit seinem Wägelchen. Er wollte Maurice selbst an die Grenze bringen. Vater Fouchard war sehr zufrieden, wenigstens einen

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