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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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gewaltige Schiff der Kathedrale von der blauen Luft ab, riesenhaft trotz der Entfernung neben den niedrigen Häusern. Und Schulerinnerungen, auswendig gelernte und hergestotterte Aufgaben kamen ihm ins Gedächtnis zurück: die Königssalbungen, das heilige Salbgefäß, Chlodwig, Jeanne d'Arc, das ganze ruhmreiche alte Frankreich.
    Als Maurice dann, von neuem von dem Gedanken an den Kaiser gepackt, in diesem einfachen, so heimlich versteckten Bürgerhause seinen Blick wieder auf die lange gelbe Mauer lenkte, las er dort zu seinem Erstaunen in riesigen Kohlebuchstaben den Ruf: Es lebe Napoleon! neben ungeschickten, übertrieben groß gezeichneten Schweinereien. Der Regen hattedie Buchstaben verwaschen; die Inschrift war offenbar sehr alt. Wie merkwürdig, dieser alte, begeisterungsvolle Kriegsruf hier an der Mauer, der zweifellos dem Oheim, dem Eroberer, und nicht dem Neffen galt! Schon wurde seine Kindheit wieder lebendig und sang in ihm ihre Erinnerungen von damals an, als er zu Chéne-Populeur noch in der Wiege die Geschichten seines Großvaters, eines Soldaten der Großen Armee, anhörte. Seine Mutter war tot, sein Vater hatte eine Lehrerstelle annehmen müssen in dem Zusammenbruch des Ruhmes, der die Söhne der Helden nach dem Sturz des Kaiserreichs traf; da lebte nun der Großvater von einem winzigen Ruhegehalt in der Mittelmäßigkeit dieses kleinen Beamtenhaushalts ohne jeden andern Trost als den, den Enkeln von seinen Feldzügen zu erzählen, den beiden Zwillingen, dem Jungen und dem Mädchen mit den gleichen blonden Haaren, die er ein wenig bemutterte. Henriette setzte er aufs linke Knie, Maurice aufs rechte, und dann gab es stundenlang homerische Schlachtenschilderungen.
    Die Zeiten verschmolzen sich; alles schien ihm außerhalb der Geschichte in einem furchtbaren Zusammenstoß der Völker vor sich zu gehen. Engländer, Österreicher, Preußen, Russen zogen zugleich und wechselweise vor ihm dahin mit ihren auf gut Glück geschlossenen Bündnissen, ohne daß man immer wissen konnte, weshalb die einen schwerer geschlagen wurden als die andern. Aber als Schlußergebnis wurden sie alle geschlagen, unvermeidlich im voraus geschlagen unter dem Drucke eines genialen Heldentums, das ganze Heere wie Stroh zusammenfegte. Da war Marengo, die Schlacht der Ebene mit ihren so klug entwickelten Linien, ihrem tadellosen gestaffelten Rückzug, der schweigenden und gegen das feindliche Feuer unempfindlichen Batterielinie, die sagenhafteSchlacht, die in drei Stunden verloren und in sechsen gewonnen wurde, in der die achthundert Grenadiere der Konsulargarde den Ansturm der ganzen österreichischen Kavallerie brachen, in der Desair eintraf, um zu sterben und die beginnende Flucht in einen unsterblichen Sieg zu wandeln. Dann kam Austerlitz mit seiner schönen Ruhmessonne im Winternebel, Austerlitz, das mit der Wegnahme der Hochebene von Pratzen begann und in dem schrecklichen Zusammenbruch der vereisten Sümpfe endete, in denen ein ganzes russisches Armeekorps, Menschen und Tiere, mit entsetzlichem Krachen unter dem Eise verschwand, während Napoleon, der Gott, der natürlich alles vorausgesehen hatte, das Unheil mit Kanonenschüssen beschleunigte. Dann war da Jena, das Grab der preußischen Macht, mit Plänklerfeuer im Oktobernebel beginnend, die Ungeduld Neys, die beinahe alles in Frage stellt, dann das Einrücken Augereaus in die Schlachtlinie zur Ablösung Neys, der große Stoß, der das feindliche Zentrum mit sich reißt, endlich die Panik, das Rette-sich-wer-kann einer übermäßig gepriesenen Kavallerie, die unsere Husaren wie reifen Hafer zusammensäbeln, so daß das ganze romantische Tal mit niedergemetzelten Menschen und Pferden übersät war. Eylau, das scheußliche Eylau, die blutigste, die Schlachterei mit ihren Haufen schauderhaft entstellter Leichen, Eylau, rot von Blut im Schneesturm, mit seinem traurigen Heldenfriedhof, Eylau, noch widerhallend vom niederschmetternden Angriff der achtzig Schwadronen Murats, die die russische Armee hin und her durchquerten und den Boden mit einer so dicken Schicht von Leichen bedeckten, daß selbst Napoleon weinte. Friedland, die große, schreckliche Falle, in die die Russen abermals wie erschreckte Spatzen hineinfielen, das Meisterstück des Kaisers an Feldherrnkunst, deralles wußte und konnte, unsere Linke unbeweglich, unerschütterlich, während Ney die Stadt Straße für Straße nahm und die Brücken zerstörte, bis die Linke sich auf die feindliche Rechte stürzte und sie

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