Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
gern über gewisse Anforderungen, die Stoff zum Lachen boten. So, als eines Tages ein Sarg und Verbandsachen angefordert wurden, waren ihm diese Verbände und der Sarg sehr spaßhaft. Für alles übrige, Steinkohlen,Öl, Milch, Zucker, Butter, Fleisch, Kleidungsstücke gar nicht gerechnet, Öfen, Lampen, kurz für alles, was zum täglichen Leben gehört, hatte er nur ein Achselzucken: mein Gott, was wollen Sie? Zweifellos war es ärgerlich, und er gab sogar zu, es werde zuviel verlangt; aber das war eben der Krieg, sie mußten doch auch in Feindesland leben. Delaherche, den die unaufhörlichen Anforderungen ärgerten, behielt seine freie Redeweise bei und zerpflückte sie jeden Abend, als ob er sein Haushaltsbuch prüfte. Sie hatten aber doch nur eine lebhafte Auseinandersetzung, nämlich hinsichtlich der Buße von einer Million, mit der der Präfekt von Rethel den Ardennenbezirk strafen wollte, unter dem Vorwand einer Entschädigung für Deutschland durch französische Kriegsschiffe verursachten Schaden und für die Austreibung in Frankreich ansässiger Deutscher. Nach dem Verteilungsplan sollte Sedan zweiundvierzigtausend Francs bezahlen. Und er erschöpfte sich in Versuchen, seinem Gaste begreiflich zu machen, die Lage der Stadt sei eine so außergewöhnliche, und sie habe schon zu schwer gelitten, als daß sie dies noch tragen könne, übrigens gingen beide aus diesen Auseinandersetzungen stets mit größerer Vertraulichkeit gegeneinander hervor; er, entzückt darüber, sich an seinem eigenen Redestrom berauschen zu können, und der Preuße vergnügt, daß er aufs neue seine Pariser Artigkeit hatte beweisen können.
    Eines Abends trat Gilberte mit ihrer fröhlich unbesonnenen Miene zu ihnen herein. Sie blieb stehen und spielte die Überraschte. Herr von Gartlauben stand auf und war so zurückhaltend, sich fast sofort zurückzuziehen. Aber am folgenden Abend fand er Gilberte bereits vor und nahm seinen Platz am Kamin wieder ein. Nun begannen ganz reizende Abende, die sie im Arbeitszimmer und nicht im Empfangszimmerverbrachten, was eine außerordentlich seine Unterscheidung bedeutete. Selbst später, wenn die junge Frau Musik machen wollte, die er verehrte, ging sie stets allein in das danebenliegende Empfangszimmer und ließ nur einfach die Tür offenstehen. Bei dem rauhen Winter brannte das alte Eichenholz aus den Ardennen mit heller Flamme in dem hohen Kamin; gegen zehn Uhr nahmen sie eine Tasse Tee und plauderten dann noch ein wenig in der wohligen Wärme des großen Raumes. Herr von Gartlauben hatte sich sichtlich verrückt in die ewig lächelnde junge Frau verliebt, die mit ihm tändelte, wie sie es früher in Charleville mit den Freunden Hauptmann Beaudouins getan hatte. Er pflegte sich mehr und zeigte sich äußerst artig, war über die geringste Gunstbezeugung froh, denn ihn quälte nur die eine Sorge, man könne ihn für einen Barbaren halten, einen groben Soldaten, der Frauen vergewaltige.
    So war das Leben in dem weiten dunklen Hause in der Rue Macqua vollständig in zwei Teile geteilt. Während bei den Mahlzeiten Edmond mit seinem hübschen Gesicht eines verwundeten Cherubs einsilbig auf das ununterbrochene Geschwätz Delaherches antwortete und errötete, wenn Gilberte ihn bat, ihr das Salz zu reichen, während abends im Arbeitszimmer Herr von Gartlauben mit ganz verzückten Augen eine Mozartsche Sonate anhörte, die die junge Frau für ihn nebenan im Empfangszimmer spielte, da blieb das dicht dabeiliegende Zimmer, in dem Oberst von Vineuil und Frau Delaherche lebten, immer still, die Fensterläden geschlossen, die Lampe ewig brennend, wie ein von einer Wachskerze erhelltes Grab. Der Dezember vergrub die Stadt im Schnee; verzweifelte Nachrichten häuften sich bei der großen Kälte. Nach der Niederlage General Ducrots bei Champigny, nachdem Verlust von Orleans blieb nur noch die eine düstere Hoffnung, die Erde Frankreichs möchte als Rächerin aufstehen, die Feinde als Vertilgerin vernichten. Wenn doch der Schnee in noch dickeren Flocken fiele, wenn doch der Erdboden sich unter Bissen des Frostes spaltete, ganz Deutschland in ihnen sein Grab fände! Und eine neue Besorgnis erfüllte Frau Delaherches Herz. Als ihr Sohn, in Geschäften nach Belgien abgerufen, eine Nacht abwesend war, hatte sie, als sie an Gilbertes Zimmer vorbeikam, dort ein leises Geräusch von Stimmen gehört, von erstickten Küssen, untermischt mit Lachen. Ganz ergriffen war sie voller Furcht vor dem Abscheulichen, das sie ahnte,

Weitere Kostenlose Bücher