Der Zusammenbruch
wieder in ihr Zimmer zurückgegangen: nur der Preuße konnte dort sein, sie glaubte auch schon Blicke des Einverständnisses zwischen ihnen bemerkt zu haben und fühlte sich ganz vernichtet unter dieser letzten Schande. Ach, diese Frau, die ihr Sohn gegen ihren Willen ins Haus gebracht hatte, dies Freudenmädchen, dem sie schon einmal vergeben hatte, indem sie nach Hauptmann Beaudouins Tode nichts sagte! Und nun ging das wieder los, und dies war doch die größte Niedertracht! Was sollte sie machen? Eine derartige Ungeheuerlichkeit durfte unter ihrem Dache nicht fortdauern. In der Zurückgezogenheit ihres Daseins wuchs die Trauer darüber immer mehr, und sie machte Tage voller schrecklicher Kämpfe durch; wenn sie an einzelnen Tagen düsterer als sonst, stumm mit Tränen in den Augen zu dem Oberst hereinkam und so stundenlang dasaß, dann sah er sie an und bildete sich ein, Frankreich habe wieder eine neue Niederlage erlitten.
Um diese Zeit fiel Henriette eines Morgens in die Rue Macqua, um die Teilnahme der Delaherches an ihres Ohms Fouchard Geschick zu erregen. Sie hatte mit Lächeln von demallmächtigen Einfluß gehört, den Gilberte über Herrn von Gartlauben besäße. Sie blieb auch ein wenig beschämt vor Frau Delaherche stehen, die sie als erste auf der Treppe antraf, als sie wieder zu dem Oberst hinaufging, und der sie den Zweck ihres Besuches erklären zu müssen glaubte.
»Ach, gnädige Frau, wie gut wäre es von Ihnen, wenn Sie sich da ins Zeug legen wollten! ... Mein Ohm befindet sich in einer schrecklichen Lage, und man spricht davon, ihn nach Deutschland zu schicken.«
Die alte Dame, die sie sehr gern hatte, machte eine zornige Bewegung.
»Aber mein liebes Kind, ich habe hier nichts zu sagen ... An mich müssen Sie sich nicht wenden ...«
Und dann weiter, trotz der Erregung, in der sie sie sah:
»Sie kommen in einem sehr ungünstigen Augenblicke; mein Sohn reist heute abend nach Brüssel ... Er ist übrigens ebenso wie ich ohne jeden Einfluß ... Wenden Sie sich nur an meine Schwiegertochter, die vermag alles.«
Und sie ließ Henriette sprachlos und fest überzeugt stehen, sie sei mitten in einen Familienzwist hineingeraten. Seit dem gestrigen Tage hatte Frau Delaherche den Entschluß gefaßt, ihrem Sohne vor seiner Abreise nach Belgien alles zu sagen, wo er in der Hoffnung, den Betrieb seiner Fabrik wieder aufnehmen zu können, über einen bedeutenden Ankauf von Öl verhandeln wollte. Unter keinen Umständen wollte sie dulden, daß während seiner neuen Abwesenheit diese Abscheulichkeit neben ihr wieder anfinge. Um zu reden wartete sie nur auf die Gewißheit, daß er seine Abreise nicht wieder auf einen andern Tag verschöbe, wie er es seit einer Woche getan hatte. Es bedeutete ja doch den Zusammenbruch des Hauses, der Preuße würde weggejagt, seine Fraugleichfalls auf die Straße geworfen, ihr Name schimpflich an die Wände angeschlagen werden, wie es jeder Französin angedroht war, die sich einem Deutschen hingeben würde.
Sowie Gilberte Henriette sah, stieß sie einen Freudenruf aus.
»Ach, bin ich froh, dich wieder zu sehen! ... Es kommt mir schon so lange vor, und man wird unter all diesen ekelhaften Geschichten so rasch alt!«
Sie hatte sie in ihr Zimmer gezogen und ließ sie sich auf das Ruhebett niedersetzen, wo sie sich dicht an sie schmiegte.
»Wart', du mußt mit uns frühstücken ... Aber erst laß uns plaudern! Du mußt mir ja so viel zu erzählen haben! ... Ich weiß, du bist ohne Nachrichten von deinem Bruder! Was? Der arme Maurice, wie beklage ich ihn da in Paris ohne Gas, ohne Holz, vielleicht ohne Brot! ... Und den Mann, für den du sorgst, der Freund deines Bruders? Du siehst, ich habe schon von dir schwatzen hören ... Kommst du seinethalben?«
Henriette zögerte mit ihrer Antwort, da eine große innere Unruhe sie erfaßte. Kam sie denn nicht im Grunde genommen Jeans wegen, um sicher zu sein, daß, wenn ihr Ohm erst einmal losgelassen, wäre, ihr lieber Kranker nicht mehr beunruhigt werben würde? Es stürzte sie in Verwirrung, als sie Gilberte so von ihm reden hörte, und sie wagte ihr nicht den wahren Grund ihres Besuches anzugeben; ihr Gewissen litt jetzt, und es widerstrebte ihr, den unsauberen Einfluß auszunutzen, den sie ihr zutraute.
»Also des Mannes wegen,« wiederholte Gilberte mit boshafter Miene, »hast, du uns nötig?«
Und als Henriette dann, in die Enge getrieben, endlich von Vater Fouchards Verhaftung sprach:
»Ach, das ist ja wahr! Bin ich dumm! Und
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