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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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des Parks von Vincennes; Maurice weinte, die Füße abgestorben, das Gesicht gegen den eisigen Boden.
    Ach! Die jammervollen, trübseligen Tage, die auf diesen Fehlschlag nach so gewaltigen Anstrengungen folgten! Der seit so langer Zeit vorbereitete große Ausfall, der unwiderstehliche Stoß, der Paris befreien sollte, war gescheitert; drei Tage später kündigte ein Brief Herrn von Moltkes an, die Loireabteilung sei geschlagen und Orleans abermals aufgegeben. So war der Kreis, der sich immer enger zusammenzog, jetzt unmöglich mehr zu durchbrechen. Aber Paris schien in dem Fieber seiner Verzweiflung neue Kräfte zu finden. Hungersnot begann zu drohen. Von Mitte Oktober an wurde das Fleisch eingeteilt. Im Dezember war von den großen Rinder- und Hammelherden, die man im Bois de Boulogneim Staube ihres beständigen Getrabes hatte frei laufen lassen, kein Tier mehr übrig, und man mußte anfangen Pferde zu schlachten. Die Getreidevoräte und das später beschlagnahmte Mehl und Getreide sollten Paris Brot für vier Monate liefern. Als das Mehl zu Ende war, mußten auf den Bahnhöfen Mühlen errichtet werden. Auch Brennstoff fehlte; er wurde für das Getreidemühlen, Brotbacken und zur Waffenherstellung aufgespart. Und dies Paris ohne Gas, das nur noch von einigen spärlichen Petroleumlampen erhellt wurde, das unter seinem Eismantel zitterte, dem sein schwarzes Brot und sein Pferdefleisch zugeteilt wurde, dies Paris hoffte trotz alledem und redete von Faidherbe im Norden, Chanzy an der Loire, Bourbaki im Osten, als müßte ein Wunder sie siegreich unter seine Mauern heranführen. Vor den Bäckereien und Schlächtereien warteten endlose Züge im Schnee und munterten sich noch zuweilen an erfundenen großen Siegen auf. Nach der auf jede Niederlage folgenden Niedergeschlagenheit stand die Einbildung hartnäckig wieder auf und flammte sogar höher empor unter dieser Menge, die infolge Leiden und Hunger an Wahnvorstellungen litt. Auf dem Platze vor dem Chateau d'Eau wurde ein Soldat, der von Übergabe sprach, von Vorübergehenden fast umgebracht. Während die Truppe mit ihrem Mute zu Ende war und das Ende herankommen fühlte und nach Frieden verlangte, forderte die Bevölkerung immer wieder den Massenausfall, den Ausfall wie ein Bergstrom; das ganze Volk mit Weibern und Kindern sogar sollte sich auf die Preußen stürzen wie ein aus den Ufern getretener Strom, der alles über den Haufen stürzt und mitreißt.
    Und Maurice sonderte sich ab von seinen Gefährten; er fühlte einen wachsenden Haß gegen seinen Soldatenberuf,der ihn als unnützen Schwätzer im Schutze des Mont-Valérien festhielt. Er suchte auch nach Gelegenheiten, um möglichst rasch nach Paris auskneifen zu können, wo sein Herz war. Nur inmitten der Menge fühlte er sich wohl; er versuchte sich zu zwingen, mit ihr zu hoffen. Oft sah er die Ballons abfahren, die alle zwei Tage am Nordbahnhof aufstiegen und Brieftauben und Depeschen mitnahmen. Die Ballons stiegen in den traurigen Winterhimmel und verschwanden; und alle Herzen krampften sich vor Angst zusammen, wenn der Wind sie auf Deutschland zu trieb. Viele mußten verlorengegangen sein. Er selbst hatte zweimal an seine Schwester Henriette geschrieben und wußte nicht, ob sie die Briefe bekommen habe. Das Andenken an seine Schwester, das Andenken an Jean lagen so tief auf dem Hintergrunde der weiten Welt, aus der nichts mehr zu ihm drang, verborgen, daß er nur sehr selten noch an sie dachte wie an geliebte Wesen, die er in einer andern Welt zurückgelassen habe. Sein Dasein war ganz erfüllt durch den fortwährenden Sturm von Niedergeschlagenheit und Aufregung, in dem er jetzt lebte. Von den ersten Tagen des Januar an war es dann eine neue Wut, die ihn aufpeitschte, nämlich über die Beschießung der Stadtviertel auf dem linken Ufer. Er hatte die Verzögerung schließlich dem Menschlichkeitsgefühl der Preußen zugeschrieben, während sie doch nur durch Schwierigkeiten bei der Einrichtung verursacht war. Wenn jetzt eine Granate zwei kleine Mädchen im Val-de-Grâce tötete, war er voll wütender Verachtung gegen die Barbaren, die Kinder töteten und Museen und Bibliotheken zu verbrennen drohten. Nach dem Schrecken der ersten Tage nahm Paris übrigens trotz der Granaten sein Dasein heldenhafter Hartnäckigkeit wieder auf.
    Seit dem Stoße bei Champigny war nur auf der Seite nachLe Bourget hin ein neuer unglücklicher Versuch unternommen worden; und an dem Abend, als das Feuer der schweren Geschütze auf den

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