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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Belagerung, wenn die armen Frauen im Platzregen mit den Füßen in dem eisigen Schmutz zitterten, als das heldenhaft ertragene Elend der großen Stadt, die sich nicht ergeben wollte! Die Sterblichkeit verdreifachte sich, die Theater wurden in Lazarette umgewandelt. Nachts versanken die früheren Prunkviertel bei der tiefen Finsternis in traurige Ruhe, wie die Vorstädte einer verfluchten, von der Pest heimgesuchten Stadt. In diesem Schweigen, dieser Finsternis hörte man nichts mehr als den dauernden Lärm der Beschießung, sah man nichts mehr, als die Blitze aus den Geschützrohren den Winterhimmel in Flammen setzen.
    Plötzlich, am 29. Januar, erfuhr Paris, daß Jules Favre seit zwei Tagen mit Herrn von Bismarck über einen Waffenstillstand verhandele; und gleichzeitig wurde bekannt, daß es nur noch Brot für zehn Tage gäbe und kaum Zeit genug für die Wiederversorgung der Stadt übrigbliebe. Das hieß also, die Übergabe wurde in der rohesten Form erzwungen. Paris verfiel angesichts der Wahrheit, die man ihm nun endlich sagte, in trübe Starrheit und ließ alles über sich ergehen. Am selben Tage ertönte um Mitternacht der letzte Schuß. Als dann am 29. die Deutschen die Forts besetzt hatten, bezog Maurice mit den 115ern wieder Lager nach Montrouge hinüber, innerhalb der Befestigungen. Und nun begann für ihn ein unbestimmtes Dasein voller Faulheit und Fieberhaftigkeit. Die Manneszucht hatte sich stark gelockert, die Leute zerstreuten sich und bummelten herum in der Erwartung, heimgeschickt zu werden. Er aber verblieb in einer verwirrten, düsteren Gereiztheit, in einer Unruhe, die sich beim geringsten Anlaß in Verzweiflung verwandelte. Gierig las er die Tageszeitungen des Umsturzes, und dieser Waffenstillstand auf drei Wochen, nur geschlossen, um Frankreich die Einberufung einer Versammlung zu gestatten, die Frieden schließen könnte, kam ihm wie eine Falle vor, ein letzter Verrat. Selbst wenn Paris gezwungen war, sich zu übergeben, dann war er mit Gambetta für Fortsetzung des Krieges im Norden und an der Loire. Das Unglück des sich selbst überlassenen Ostheeres, das nach der Schweiz übertreten mußte, versetzte ihn in Wut. Die dann folgenden Wahlen machten ihn vollends verrückt: das war ja, was er vorausgesehen hatte; die Provinz war feige, sie war über den Widerstand von Paris gereizt und verlangte unter allen Umstanden nach Frieden; sie wollte die Monarchie unter dem Schutze der noch gerichtetenpreußischen Geschütze wieder einsetzen. Nach den ersten in Bordeaux abgehaltenen Sitzungen wurde Thiers, der nach seiner Wahl in sechsundzwanzig Bezirken zum Vorsitzenden der Ausführenden Gewalt ausgerufen war, in seinen Augen zum Ungeheuer, zu dem Mann aller Lügen und Verbrechen. Sein Zorn ging auch nicht zurück; der von dieser monarchischen Versammlung abgeschlossene Friede erschien ihm als der Gipfel der Schande; er raste schon, wenn er nur an die harten Bedingungen dachte, die Entschädigung von fünf Milliarden, die Abtretung von Metz, das Imstichelassen des Elsaß, an all das Gold und Blut Frankreichs, das nun aus dieser unheilbaren Seitenwunde dahinlief.
    In den letzten Februartagen entschloß sich Maurice daher, die Fahne zu verlassen. Ein Satz des Vertrages besagte, die in Paris lagernden Mannschaften sollten entwaffnet und heimgeschickt werden. Das wartete er nicht ab; es schien ihm, als würde ihm das Herz ausgerissen, wenn er das ruhmreiche Pariser Pflaster hinter sich lassen müsse, das nur der Hunger hatte bezwingen können; er verschwand und mietete sich in der Rue des Orties oben auf der Butte des Moulins in einem sechsstöckigen Hause ein enges eingerichtetes Zimmer, eine Art Aussichtspunkt, von wo man über das schrankenlose Dächermeer von den Tuilerien bis nach der Bastille sah. Ein früherer Studiengefährte aus der Rechtsfakultät lieh ihm hundert Francs. Sobald er sich übrigens eingerichtet hatte, ließ er sich in ein Bataillon Nationalgarde einschreiben, und die dreißig Sous Lohn mußten ihm genügen. Der Gedanke an ein ruhiges, selbstzufriedenes Dasein in der Provinz jagte ihm Angst ein. Selbst die Briefe seiner Schwester Henriette, an die er am Tage nach dem Waffenstillstand geschrieben hatte, ärgerten ihn mit ihren flehenden Bitten, ihrem glühendenWunsch, ihn sich in Remilly zur Ruhe setzen zu sehen. Er weigerte sich; er wollte später kommen, wenn die Preußen nicht mehr da wären.
    In immer zunehmendem Fieber wurde Maurices Leben unstet, geschwätzig. Er litt keinen

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