Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
lang lief das Blut nur so in den Gossen ... Am Ende, ja verflucht! am Ende mußten wir uns dann doch drücken. Und dann kommen sie noch und erzählen einem, daß mir auf dem linken Flügel die Bayern über Kopf geworfen hätten! Donnerschlag noch mal, ja! wenn wir auch hunderttausend Mann gehabt hätten! wenn wir auch genug Kanonen gehabt hätten und etwas weniger dämliche Führer!«
    Voll heftiger Erbitterung schnitten Coutard und Picot in ihren zerlumpten Uniformen, grau von Staub, sich Brot ab und schlangen große Stücke Käse herunter; aber in der reizenden Laube mit den reifen Trauben, durch die die Sonnenstrahlen hindurchfunkelten, warfen sie den Alp ihrer Erinnerungen von sich. Jetzt kamen sie zu der schrecklichen Flucht, die dann folgte, wo ganze Regimenter aufgelöst, entmutigt, verhungert querfeldein flohen, die Heerstraßen ein scheußlicher Wirrwarr von Menschen, Pferden, Wagen, Geschützen dahinrollend, alle die Bruchstücke eines vernichteten Heeres, das vom tollen Hauch panischer Furcht vorwärtsgepeitscht wird. Wenn sie sich nun auch nicht ordentlich zurückzogen, um die Vogesenpässe zu verteidigen, so hätten sie doch wenigstens die Brücken sprengen und die Tunnel verstopfen müssen. Aber die Generäle jagten voller Bestürzung davon, und es wehte ein solcher, Sieger und Besiegte mit sichreißender Sturmwind von Betäubung, daß beide Heere sich zeitweilig auf dieser bei vollem Tageslicht doch nur tastend durchgeführten Verfolgung ineinander verloren, daß Mac Mahon auf Luneville eilte und der Kronprinz von Preußen ihn in der Richtung der Vogesen suchte. Am 7. kamen die Reste des ersten Korps wie ein schlammiger, aus seinen Ufern getretener Fluß, auf dem Wrackstücke dahintreiben, durch Zabern. Am 8. stieß das fünfte Korps bei Saarburg wie ein ausgetretener Wildbach auf einen andern, auf das erste auch auf der Flucht befindliche, das, kampflos geschlagen, seinen Führer, den traurigen General Failly, mit sich riß; und der verlor den Verstand darüber, daß die Schuld an der Niederlage auf seine Untätigkeit zurückgeführt wurde. Am 9., am 10. ging die Hetzjagd weiter, ein wütendes Rette-sich-wer-kann, wo sich kein Mensch mehr umschaute. Am 11. kamen sie in strömendem Regen auf Vayon herunter, um Nancy zu vermeiden, das einem falschen Gerücht zufolge in den Händen des Feindes sein sollte. Am 12. lagen sie bei Haroué, am 13. bei Vicherey, und am 14. endlich waren sie in Neufchâteau, wo die Eisenbahn dies menschliche Geröll in Empfang nahm und es wie mit Schaufeln in Züge verlud, die es in drei Tagen nach Châlons brachten. Vierundzwanzig Stunden nach Abgang des letzten Zuges trafen die Preußen ein.
    »Ach, eine verfluchte Geschichte!« schloß Picot. »Was wir da ausreißen mußten ... Ja, und wo wir auch noch im Lazarett lagen.«
    Coutard goß den Rest der Flasche in sein Glas und das seines Kameraden.
    »Ja, da suchten wir unsere Siebensachen zusammen und laufen jetzt noch ... Ach was! So ist's auch ganz schön, wennman denn noch aufs Wohl von Leuten trinken kann, die sich nicht den Hals dabei gebrochen haben.«
    Jetzt verstand Maurice. Nach der törichten Überraschung bei Weißenburg kam die Vernichtung bei Fröschweiler wie ein Blitzstrahl, der die schreckliche Wahrheit mit unheimlicher Klarheit klar erkennen ließ. Wir waren schlecht vorbereitet, die Artillerie mittelmäßig, die Truppenbestände erlogen, die Generäle unfähig; und der so sehr unterschätzte Feind erschien stark und einheitlich, unzählbar, im Besitz vollkommener Fechtweise und Manneszucht. Der schwache Vorhang unserer sieben von Metz bis Straßburg verstreuten Korps wurde von den drei deutschen Heeren wie durch mächtige Keile zertrennt. Im Handumdrehen waren wir nun allein, weder Österreich noch Italien kamen, der Plan des Kaisers brach infolge der Langsamkeit der kriegerischen Maßnahmen und der Unfähigkeit der Führer zusammen. Ja, das Geschick selbst arbeitete gegen uns, es häufte Widerwärtigkeiten und ärgerliche Zusammentreffen und setzte den geheimen Plan der Preußen, der darauf hinauslief, unsere Heere in zwei Teile zu zerschneiden, den einen auf Metz zurückzuwerfen, um ihn dort von Frankreich abzusondern, und dann den andern zu vernichten und auf Paris zu marschieren, in Wirklichkeit um. Von nun an schien es ihm mathematisch sicher, daß wir aus all diesen Ursachen besiegt werden mußten, deren unvermeidliche Ergebnisse nun so klar dastanden; es war der Ansturm unklugen Mutes gegen Überzahl

Weitere Kostenlose Bücher