Der Zusammenbruch
Stadthause feierlich aufgerichtet wurde, während das Geschütz donnerte und die roten Fahnen als Siegeszeichen in den Lüften knatterten, da wollte er alles vergessen, weil ihn eine neue schrankenlose Hoffnung emporhob. Und nun begann seine Einbildung wieder zu wirken in der scharfen Wendung seiner Krankheit zum äußersten Grad infolge der Lügen der einen und des übertriebenen Vertrauens der andern.
Während des ganzen Aprilmonats schoß Maurice sich in der Gegend von Neuilly herum. Ein vorzeitiger Frühling brachte den Flieder zum Blühen, und sie fochten im zarten Grün der Garten; die Nationalgarden kamen abends mit Blumensträußen auf dem Gewehr heim. Jetzt waren die in Versailles zusammengezogenen Truppen so zahlreich, daß zwei Abteilungen hätten gebildet werden können, eine erster Linie unter dem Befehl des Marschalls Mac Mahon, die andere als Reserve unter dem General Vinoys. Die Kommune dagegen hatte fast hunderttausend Mann mobilisierte Nationalgarden und fast ebenso viele Ansässige für sich; aberhöchstens fünfzigtausend waren tatsächlich gefechtstüchtig. Jeden Tag trat nun der Plan der Versailler klarer hervor: nach Neuilly besetzten sie das Schloß Bécon, dann Asnières, einfach um die Einschließungslinie immer enger zu schnüren; denn sie rechneten darauf, über den Point-de-Jour einzudringen, sobald sie nur hier durch Zusammenfassung des Feuers vom Mont-Valérien und dem Fort Issy die Umwallung bezwingen konnten. Der Mont-Valérien gehörte ihnen bereits; alle ihre Anstrengungen richteten sich also darauf, sich des Forts von Issy zu bemächtigen, das sie unter Benutzung der früheren preußischen Werke angriffen. Seit Mitte April hörten Gewehr- und Geschützfeuer gar nicht mehr auf. In Levallois und Neuilly gab es unaufhörliche Kämpfe, fortdauernd tönte das Geschützfeuer Tag und Nacht. Schwere, auf gepanzerten Eisenbahnwagen aufgestellte Geschütze liefen auf der Umgehungsbahn entlang und feuerten über Levallois weg auf Asnières. Aber bei Vanves und vor allem bei Issy war das Feuer so rasend, daß alle Fensterscheiben in Paris davon wie an den schlimmsten Tagen der Belagerung erzitterten. Und als am 9. Mai das Fort von Issy nach einem plötzlichen Überfall endgültig in die Hände der Versailler fiel, da bedeutete das für die Kommune die sichere Niederlage, und ein panischer Schrecken trieb sie nun zu den schlimmsten Entschlüssen.
Maurice billigte die Einsetzung eines Ausschusses für öffentliche Wohlfahrt. Seiten aus der Geschichte tauchten wieder vor ihm auf; schlug jetzt nicht die Stunde für tatkräftige Maßnahmen, wenn man das Vaterland noch retten wollte? Von allen Gewalttätigkeiten schnürte nur eine ihm das Herz vor Kummer zusammen, der Abbruch der Vendômesäule; diesen klagte er als Zeichen kindischer Schwache an; er hörte jaimmer noch seinen Großvater von Marengo, Austerlitz, Jena, Eylau, Friedland, Wagram, der Moskwa erzählen, diese Heldengesänge, vor denen er noch erschauerte. Aber daß man das Haus Thiers', des Meuchelmörders, niederriß, daß man die Geiseln als Sicherheit und Drohung behielt, waren das nicht ganz gerechte Vergeltungsmaßregeln angesichts der wachsenden Wut von Versailles gegen Paris, das es beschoß, wo die Granaten auf den Dächern platzten und Frauen töteten? Je näher das Ende seines Traumes kam, um so düsterer stieg in ihm der Zerstörungstrieb empor. Mußte der Gedanke an Gerechtigkeit und Vergeltung schon in Blut untergehen, möchte sich dann doch die Erde auftun, möchte dann doch eine jener Weltenumwälzungen emporsteigen, die neues Leben aufsprießen lassen! Möchte ganz Paris vergehen, möchte es verbrennen wie der riesige Scheiterhaufen eines Opfers, eher als daß es seinen Lastern und seinem Elend wieder überlassen würde, der alten, von so abscheulicher Ungerechtigkeit befleckten Gesellschaft! Und ein anderer mächtiger, schwarzer Traum kam über ihn: die Riesenstadt in Asche, nichts weiter als rauchende Brände auf beiden Ufern, die Heilung der Wunde durch Feuer, eine namenlose, beispiellose Umwälzung, aus der ein neues Volk hervorgehen sollte. Die umlaufenden Erzählungen erhöhten sein Fieber nur noch weiter: die Stadtviertel unterminiert, die Katakomben voll Pulver gestopft, die Baudenkmäler fertig zum In-die-Luft-Sprengen, alle Minenkammern durch elektrische Drähte verbunden, so daß ein Funke sie alle gleichzeitig entzünden konnte, mächtige Vorräte an brennbaren Stoffen, vor allem Petroleum, um die Straßen
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