Der Zusammenbruch
ohne sich im geringsten in acht zu nehmen. Um vier Uhr verteidigten sie eine Barrikade, die die Universitätsstraße an ihrem Austrittauf die Esplanade abschloß; sie gaben sie erst in der Dämmerung auf, als sie erfuhren, daß die Division Bruat am Kai entlanggegangen wäre und sich der Gesetzgebenden Versammlung bemächtigt habe. Beinahe wären sie gefangen worden, und sie erreichten die Rue de Lille nur mit Mühe, dank einem weiten Umweg über die Rue Saint-Dominique und Rue Bellechasse. Als die Nacht hereinbrach, besetzten die Versailler Truppen eine Linie, die vom Vanvestor ausging, über die Gesetzgebende Versammlung, den Elyséepalast, die Kirche Saint-Augustin, den Saint-Lazarebahnhof verlief und beim Asnièrestor endete.
Der folgende Tag, der 23., ein Frühlingsmittwoch voll hellen, warmen Sonnenscheins, wurde für Maurice zum Schreckenstag. Ein paar hundert Föderierte, zu denen er gehörte und die aus Leuten verschiedener Bataillone bestanden, hielten noch das ganze Viertel vom Kai bis zur Rue Saint-Dominique. Aber die meisten hatten in der Rue de Lille, in den großen Hotelgärten dort gelagert. Er selbst hatte auf einem Rasen neben dem Palast der Ehrenlegion tief geschlafen. Morgens früh glaubte er, die Truppen würden aus der Gesetzgebenden Versammlung hervorbrechen, um sie hinter die starken Barrikaden in der Rue du Bac zurückzutreiben. Aber Stunden liefen hin, ohne daß es zu einem Angriff kam. Sie wechselten nur verlorene Kugeln von einem Ende der Straße zum andern. Der Plan der Versailler rollte sich nun in vorsichtiger Langsamkeit ab; er bestand in dem wohlgefaßten Entschluß, sich nicht den Schädel an der furchtbaren Festung einzurennen, die die Aufrührer aus den Tuilerienterrassen gemacht hatten, in der Ausführung eines getrennten Marsches links und rechts an den Wällen entlang, um sich auf diese Weise erst des Montmartres und des Observatoriumszu bemächtigen, dann umzukehren und die inneren Bezirke mit einem einzigen Zuge zu nehmen. Gegen zwei Uhr hörte Maurice davon erzählen, die dreifarbige Fahne flattere auf dem Montmartre: von drei Armeekorps gleichzeitig angegriffen, die ihre Bataillone auf die Höhe im Norden und Westen über die Rue Lepic, des Saules und Mont-Cenis herangeführt hatten, war die große Batterie bei Moulin de la Galette genommen worden; und nun strömten die Sieger auf Paris herab, nahmen den Place Saint-George, Notre-Dame-de-Lorette, das Bezirkshaus in der Rue Drouot, die neue Oper; zu gleicher Zeit gewann die vom Montparnasse ausgehende Schwenkung auf dem linken Ufer den Place d'Enfer und den Pferdemarkt. Diese Nachrichten, der so rasche Fortschritt der Truppen, wurden mit Erstarrung, mit Zorn und Schrecken aufgenommen. Was! Montmartre in zwei Stunden genommen, das ruhmreiche, uneinnehmbare Bollwerk des Aufstandes! Nun sah Maurice auch ganz gut, wie die Reihen sich lichteten; zitternd glitten die Genossen lautlos davon, wuschen sich die Hände und zogen voller Schrecken vor Vergeltungsmaßnahmen eine Bluse an. Es lief das Gerücht um, sie sollten über Croix-Rouge umgangen werden, auf das sich ein Angriff vorbereite. Die Barrikaden in der Rue Martignac und Bellechasse waren schon genommen; man konnte schon am Eingang der Rue de Lille rote Hosen sehen. Und bald blieben nur noch die ganz Überzeugten, die Verbissensten übrig, Maurice und etwa fünfzig andere, die entschlossen waren zu sterben, nachdem sie möglichst viele von den Versaillern getötet hätten, die die Verbündeten wie Räuber behandelten und ihre Gefangenen hinter der Schlachtlinie erschossen. Der scheußliche Haß war seit gestern abend noch gewachsen; jetzt drehte es sich zwischen diesen Aufständischen,die für ihren Traum in den Tod gingen, und der Truppe, in der es von rückschrittlichen Leidenschaften schwelte und die außer sich darüber war, immer noch fechten zu müssen, nur noch um Ausrottung.
Als Maurice und seine Genossen sich gegen fünf Uhr endgültig hinter die Barrikaden in der Rue du Bac zurückzogen und die Rue de Lille fortwährend feuernd von Tür zu Tür zurückwichen, da sah er plötzlich aus einem der offenen Fenster des Palastes der Ehrenlegion eine dicke schwarze Rauchwolke hervorbrechen. Das war die erste in Paris angelegte Feuersbrunst; und unter dem Einfluß der wütenden, alles mit sich fortreißenden Raserei entstand wilde Freude über sie. Nun schlug also die Stunde, zu der die ganze Stadt wie ein großer Scheiterhaufen aufflammen sollte, damit das Feuer die Welt
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