Der Zusammenbruch
endgültig geschlossen; die Nationalversammlung sollte sich am 20. März in Versailles einrichten; für ihn stand indessen noch gar nichts fest, irgendein schreckliches Rachewerk mußte beginnen. Als er am 18. März aufstand, erhielt er einen Brief von Henriette, in dem sie ihn wieder einmal anflehte, sie in Remilly zu treffen, und ihm zärtlich drohte, sie würde sich selbst auf den Weg machen, wenn er zu lange damit wartete, ihr diese große Freude zu machen. Dann sprach sie von Jean und erzählte ihm, wie er, nachdem er sie gegen Ende Dezember verlassen hätte, um zum Nordheere zu stoßen, in einem belgischen Krankenhause an einem bösartigen Fieber erkrankt wäre; erst in der vorhergehendenWoche habe er ihr schreiben können, er gehe trotz seines Schwächezustandes nach Paris, wo er wieder in Dienst treten wolle. Henriette schloß mit der Bitte an ihren Bruder, ihr möglichst genaue Nachricht über Jean zu geben, sobald er ihn gesehen hätte. Nun wurde Maurice mit dem offenen Briefe vor Augen von einer zärtlichen Träumerei ergriffen. Henriette, Jean, seine so heiß geliebte Schwester und sein Bruder durch Kummer und Elend, mein Gott! wie fern lagen diese geliebten Wesen seinen Gedanken, seitdem der Sturm in seinem Innern hauste. Da jedoch seine Schwester ihm mitteilte, sie habe Jean die Adresse in der Rue des Orties nicht geben können, so nahm er sich vor, ihn heute noch aufzusuchen und in die Militärbureaus zu gehen. Aber er war kaum herunter und über die Straße Saint-Honoré gegangen, als zwei Genossen aus seinem Bataillon ihm die Vorgänge der Nacht und des Morgens auf Montmartre erzahlten. Nun gingen sie alle drei in Laufschritt über und verloren den Kopf.
Ach, mit welcher entscheidenden Erregung erfüllte Maurice dieser Tag des 18. März! Später konnte er sich nicht mehr klar daran erinnern, was er gesagt, getan hatte. Zunächst sah er sich voller Wut dahinrennen über die vor Tagesanbruch versuchte militärische Überraschung, durch die Paris entwaffnet werden sollte, indem man die Geschütze vom Montmartre wieder herunterholte. Augenscheinlich plante Thiers, der aus Bordeaux zurückgekommen war, diesen Streich seit zwei Tagen, damit die Nationalversammlung ohne jede Gefahr in Versailles die Monarchie ausrufen könne. Dann sah er sich selbst gegen neun Uhr auf dem Montmartre, erhitzt durch die Schilderungen von dem Siege, die man ihm machte, wie die Truppen verstohlen herangekommen seien, die glückliche Verspätung der Bespannung es den Nationalgarden erlaubthabe, sich zu bewaffnen, wie die Soldaten nicht gewagt hätten, auf Frauen und Kinder zu schießen, und den Kolben in die Luft gehoben hätten, um sich mit dem Volke zu verbrüdern. Dann sah er sich wieder durch Paris laufen; seit Mittag sah er ein, Paris gehöre der Kommune ohne Kampf. Thiers und die Minister waren aus dem Ministerium des Auswärtigen, wo sie sich versammelt hatten, entflohen, die ganze Regierung befand sich auf der Flucht nach Versailles, die dreißigtausend Mann, die in der Eile herangebracht waren, hatten über fünftausend der Ihrigen auf den Straßen liegen lassen. Gegen halb sechs sah er sich ferner an der Ecke eines der äußern Boulevards inmitten einer Gruppe Rasender und hörte ohne jeden Widerwillen die abscheuliche Geschichte von dem Morde der Generale Lecomte und Clément Thomas. Ah, Generale! Er dachte wieder an die von Sedan, die unfähigen Genießer! Einer mehr oder weniger, was lag daran! Und der Rest des Tages lief unter der gleichen, alles entstellenden Erregung dahin; das Pflaster selbst schien nach Aufruhr zu verlangen, der anwuchs und mit einem Schlage durch ein unvorhergesehenes Verhängnis als Herr dastand, und als Siegesfeier fiel das Stadthaus um zehn Uhr abends den Mitgliedern des Hauptausschusses zu, die ganz erstaunt waren, sich hier wiederzufinden.
Ein Punkt aber blieb doch ganz klar in Maurices Gedächtnis haften: sein plötzliches Wiedersehen mit Jean. Dieser letztere befand sich seit drei Tagen in Paris, wo er ohne einen Sou angekommen war, noch ganz abgezehrt und erschöpft von den zwei Fiebermonaten, die ihn im Krankenhause in Brüssel festgehalten hatten; und da er fast unmittelbar darauf einen ehemaligen Hauptmann der 106er gefunden hatte, den Hauptmann Ravaud, so hatte er sich bei der neuen Kompanieder 124er einstellen lassen, die dieser befehligte. Er hatte seine Korporalstreifen wieder bekommen und verließ an diesem Abend gerade als letzter mit seiner Korporalschaft die Kaserne Prinz
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