Der Zusammenbruch
und Plätze in Ströme, in Meere von Flammen zu verwandeln. Die Kommune hatte geschworen, daß, wenn die Versailler einzögen, keinerüber die Barrikaden kommen sollte, die die Straßenkreuzungen absperrten; die Straßen sollten sich öffnen, die Gebäude zusammenstürzen, Paris sollte in Flammen aufgehen und eine Welt verschlingen.
Und wenn Maurice sich diesem verrückten Traum in die Arme stürzte, geschah das aus dumpfer Unzufriedenheit mit der Kommune selbst. Er verzweifelte an ihren Männern, er fühlte sie unfähig, von zuviel sich widersprechenden Bestandteilen hin und her gezerrt; sie verzweifelte an sich selbst, wurde unzusammenhängend und töricht, je schwerer sie bedroht wurde. Von all den von ihr versprochenen allgemeinen Verbesserungen hatte sie auch nicht eine durchführen können, und er war sich schon gewiß, sie werde kein einziges dauerndes Werk hinter sich zurücklassen. Ihr größtes Übel aber rührte aus den Zwiespältigkeiten her, die sie zerrissen, aus dem nagenden Verdacht, unter dem jedes ihrer Mitglieder lebte. Viele, die Gemäßigten, unruhig Gewordenen nahmen bereits gar nicht mehr an den Sitzungen teil. Andere handelten nur unter der Peitsche der Ereignisse, sie zitterten vor einer möglichen Gewaltherrschaft und befanden sich schon in dem Zustande, wo die einzelnen Gruppen der Umsturzversammlungen sich gegenseitig auszurotten beginnen, um das Vaterland zu retten. Nach Cluseret, nach Dombrowski war jetzt die Reihe des Verdächtigtwerdens an Rossel. Delescluze, der zum Zivilabgeordneten für den Krieg ernannt worden war, vermochte trotz seines großen Ansehens selbst nichts. Und der große soziale Aufschwung, an den man gedacht hatte, verzettelte sich immer mehr zum Fehlschlag, je mehr die Vereinsamung sich von Stunde zu Stunde um diese zu Ohnmacht verurteilten, von Verzweiflung niedergeschlagenen Männer ausbreitete.
In Paris wuchs der Schrecken. Paris, das sich erst nochunter den Leiden der Belagerung schauernd gegen Versailles gereizt fühlte, löste sich jetzt von der Kommune los. Die gewaltsame Einberufung, eine Bestimmung, die alle Männer über vierzig Jahre einbezog, ärgerte die ruhigen Bürger und bestimmte sie zur Massenflucht: verkleidet gingen sie über Saint-Denis mit falschen Papieren als Elsässer davon; sie kletterten mit Hilfe von Stricken und Leitern in die Festungsgräben hinunter, wenn die Nacht dunkel genug war. Schon lange waren die reichen Bürger fortgezogen. Keine Fabrik, keine Werkstatt hatte ihre Tore wieder geöffnet. Es gab keinen Handel, keine Arbeit; dies Schwätzerdasein lief in unruhiger Erwartung der unvermeidlichen Lösung so weiter. Und das Volk lebte ausschließlich von dem Solde als Nationalgarden, den dreißig Sous, die jetzt aus den von der Bank eingeforderten Millionen bezahlt wurden, den dreißig Sous, für die viele fochten, eine der Hauptursachen und Beweggründe zum Aufruhr. Ganze Stadtviertel hatten sich entleert, die Läden waren geschlossen, die Straßenseiten der Häuser tot. In dem wundervollen, mächtigen Sonnenschein des Maimonats traf man auf den verödeten Straßen nur noch den wilden Prachtaufwand von Leichenbegängnissen von vorm Feind getöteten Verbündeten, Züge ohne Priester, die Särge mit roten Fahnen bedeckt, gefolgt von Massen Strohblumensträuße Tragender. Die geschlossenen Kirchen verwandelten sich jeden Abend in Klubsäle. Nur umstürzlerische Zeitungen erschienen, alle andern waren unterdrückt worden. So war Paris zerstört, das große, unglückliche Paris, das auch als republikanische Hauptstadt seine Abneigung gegen die Nationalversammlung bewahrte und in dem jetzt der Schrecken vor der Kommune anwuchs, die Ungeduld, von ihr befreit zu werden, während fürchterliche Geschichten umherliefen von täglicherVerhaftung neuer Geiseln, von Tonnen von Pulver, die in die Kanäle geschüttet wären, wo, wie es hieß, Leute mit Fackeln nur auf das verabredete Zeichen warteten.
Maurice, der nie getrunken hatte, fand sich nun von der allgemeinen Trunkenheit erfaßt und wie ertränkt. Jetzt kam es wohl bei ihm vor, daß, wenn er von irgendeinem vorgeschobenen Posten vom Dienst kam, oder mehr noch, wenn er nachts mit auf Wache ging, daß er dann ein kleines Glas Kognak trank. Nahm er ein zweites, so wurde er aufgeregt von dem ihm über das Gesicht hinwehenden Alkoholdunst. Diese dauernde Betrunkenheit war eine ansteckende Seuche, eine Hinterlassenschaft der ersten Belagerung, aber durch die zweite verschlimmert, wo die
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