Der Zusammenbruch
ausweichende Bewegung; wer konnte das sagen? Seit dem 16. hatten sie die Tage mit Hin- und Hermärschen im Regen hingebracht, auf Erkundigungen und Feldwachen, ohne einen Feind zu sehen. Jetzt bildeten sie einen Teil der Armee von Châlons. Sein Regiment, zwei andere von französischen Jägern und ein Husarenregiment bildeten eine der Reserve-Kavallerie-Divisionen, die erste, die von General Margueritte geführt wurde, von dem er mit begeisterter Anhänglichkeit sprach.
»Ach! der Deubel! das ist ein doller Kerl! Aber was nutzt das, wenn man uns hier doch nur im Dreck herumpatschen laßt!«
Wieder wurde es still. Dann sprach Maurice einen Augenblick von Remilly, von Ohm Fouchard, und Prosper bedauerte, daß er Honoré nicht die Hand drücken konnte, dessen Batterie da unten eine Meile weiter auf der andern Seite des Weges nach Laon zu liegen mußte. Aber das Schnauben eines Pferdes ließ ihn das Ohr spitzen; er stand auf und verschwand, um sich zu vergewissern, daß es Zephir an nichts fehle. Allmählich, da die Kaffeezeit und die Stunde des Kaffeeschnäpschens herankam, strömten Soldaten aller Grade und jeder Waffe in die Kneipe. Kein Tisch blieb frei; in dem grünen Halbdunkel der vom Sonnenschein durchströmten Reben herrschte eine von bunten Uniformen belebte Heiterkeit. Der Stabsarzt Bouroche kam und setzte sich zu Rochas, als Jean eintrat, um einen Befehl zu überbringen.
»Herr Leutnant, der Herr Hauptmann erwartet Sie um drei Uhr in einer dienstlichen Angelegenheit.«
Rochas zeigte durch ein Kopfnicken an, daß er pünktlich da sein werde; Jean entfernte sich nicht sofort, er lächelte Mauricezu, der sich eine Zigarette anzündete. Seit dem Vorkommnis im Wagen herrschte zwischen den beiden Männern ein stillschweigender Waffenstillstand, eine Art gegenseitiger Prüfung, die immer wohlwollender ausfiel.
Prosper war voller Ungeduld zurückgekommen.
»Ich fange an zu essen, wenn mein Herr aus der Bude nicht wieder herauskommt ... 's ist zu dumm, der Kaiser ist imstande und kommt vor heute abend nicht wieder herein.«
»Sagt mal,« fragte Maurice mit wieder erwachender Neugier, »bringt Ihr am Ende Nachrichten von Bazaine?«
»Möglich! Da in Monthois redeten sie davon.«
Aber ganz plötzlich entstand eine Bewegung. Und Jean, der unter einem der Eingänge der Laube stehengeblieben war, drehte sich um und sagte: »Der Kaiser!«
Sofort war alles auf den Beinen. Zwischen den Pappeln auf der weißen Hauptstraße erschien ein Zug der Hundertgarden in ihren noch sauberen und glänzenden Uniformen mit der großen Sonne auf den Brustpanzern. Dann kam gleich hinter ihnen der Kaiser zu Pferde in einem weiten Zwischenraum, begleitet von seinem Stabe, dem ein zweiter Zug Hundertgarden folgte.
Die Häupter hatten sich entblößt, einige Zurufe ertönten. Und der Kaiser hob im Vorbeireiten den Kopf, sehr bleich, mit müdem Gesichtsausdruck, die Augen unstet, trübe und voller Wasser. Er schien aus einer Art Schlafzustand zu erwachen, lächelte schwach beim Anblick der sonnendurchströmten Kneipe und grüßte.
Da hörten Jean und Maurice ganz deutlich hinter sich Bouroche vor sich hin brummen, nachdem er den Kaiser mit dem Blick des alten Fachmannes gründlich geprüft hatte:
»Er hat sicher mal wieder einen ekligen Stein drin.«
Dann schloß er seine Prüfung mit dem einen Wort:
»Futsch!«
Jean schüttelte mit seinem engen, gesunden Verstande den Kopf: verdammtes Pech für ein Heer, so ein Führer! Und als Maurice zehn Minuten später Prosper die Hand schüttelte und, glücklich über sein schönes Frühstück, eine Zigarette rauchend von dannen zog, da nahm er dies Bild des Kaisers mit sich, wie er so bleich und so unklar im kurzen Trabe seines Pferdes vorbeiritt. Das war der Verschwörer, der Träumer, dem es im Augenblick der Tat an Spannkraft fehlt. Es hieß, er wäre sehr gut, sehr empfänglich für große und edle Empfindungen, und übrigens von festem, schweigsamem Manneswillen; und er war auch sehr tapfer und verachtete jede Gefahr als Anbeter des Schicksals, der bereit ist, sich dem Geschick zu unterwerfen. Aber in diesen großen Wandlungen schien er wie mit Starrheit geschlagen, wie gelähmt vor dem Vollbringen einer Tat, ohnmächtig, sich mit dem Geschick abzufinden, sobald es sich gegen ihn wandte. Und Maurice fragte sich, ob es sich bei dem Kaiser nicht um einen angeborenen, durch sein Leiden nur verschlimmerten Sonderfall handele, wenn nicht die Krankheit, an der er so sichtbar litt, selbst die
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