Der Zusammenbruch
Ausrüstungsgegenständen auf dem Bahnhof, der mit von Metz zurückflutenden Vorräten verstopft war. Im letzten Augenblick wurden in dem unentwirrbaren Durcheinander der Züge Wagen mit Patronen entdeckt, und eine Arbeitskompagnie, der Jean zugeteilt war, konnte auf schleunigst mit Beschlag belegtem Fuhrwerk zweihundertvierzigtausend Stück heranschaffen. Im selben Augenblick, als Gaude, der Hornist der Kompanie, zum Abmarsch blies, teilte Jean jedem Mann seiner Korporalschaft die vorschriftsmäßigen hundert Patronen zu.
Das Regiment 106 sollte nicht durch Reims marschieren; der Marschbefehl lautete, die Stadt zu umgehen und so die große Straße nach Châlons wiederzugewinnen. Aber auch diesmal wieder hatte man verabsäumt, die Stunden zu staffeln, so daß sich, weil die vier Korps zusammen abrückten, eine gewaltige Verwirrung ergab, sobald sie die von allen zurückzulegenden Wegeabschnitte erreichten. Alle Augenblicke durchschnitten Artillerie und Kavallerie die Linien der Infanterie und hielten sie auf. Ganze Brigaden mußten eine Stunde lang das Gewehr bei Fuß warten. Und das Schlimmste war, daß kaum zehn Minuten nach dem Abmarsch ein furchtbares Gewitter losbrach und ein sündflutartigerRegen die Leute bis auf die Knochen durchnäßte, so daß ihnen Tornister und Rock auf den Schultern noch schwerer wurden. Als der Regen aufhörte, konnten die 106er ihren Marsch wieder aufnehmen; die Zuaven aus einem benachbarten Lager waren dagegen gezwungen noch zu warten und erfanden, um ihre Geduld zu behalten, ein Spielchen, bei dem sie sich mit Erdkugeln bewarfen, Dreckklumpen, deren Auseinanderspritzen auf den Uniformen wahrhaft stürmisches Gelächter hervorrief.
Fast unmittelbar nachher kam die Sonne wieder durch, die sieghafte Sonne eines heißen Augustmorgens. Die Fröhlichkeit kehrte zurück, und die Leute dampften wie in der Luft aufgehängte Wäsche; sie waren sehr schnell wieder trocken und sahen verdreckt aus wie aus einem Sumpf herausgezogene Hunde; sie scherzten über das Geräusch, das der verhärtete, an ihren roten Hosen mitgeschleppte Dreck hervorbrachte. An jedem Kreuzweg gab es eine neue Pause. Ganz draußen in einer Vorstadt von Reims gab es einen letzten Aufenthalt vor einer Schnapskneipe, die gar nicht leer werden wollte.
Da kam Maurice auf den Gedanken, seine Korporalschaft freizuhalten, gleichsam als Glückwunsch auf den Weg für alle.
»Herr Korporal, würden Sie erlauben? ...«
Nach kurzem Zaudern nahm Jean ein Schnäpschen an. Loubet und Chouteau waren dabei, der letztere mit einer Art argwöhnischer Achtung, seitdem der Korporal ihm seine Faust gezeigt hatte; ebenso waren auch Pache und Lapoulle da, ein paar gute Jungens, wenn man ihnen nichts in den Kopf setzte.
»Ihr Wohl, Herr Korporal!« sagte Chouteau mit Biedermannstonfall.
»Auf Ihres, und mögen wir alle drauf achten, daß wir Kopf und Beine heil wieder mitbringen!« antwortete Jean höflich unter beifälligem Gelächter.
Aber es ging weiter; Hauptmann Beaudouin war mit mißfälliger Miene herangetreten, während Leutnant Rochas so tat, als ob er woanders hinsähe und Nachsicht mit dem Durst seiner Leute hätte. Schon ging es auf der Straße von Châlons dahin, die sich wie ein unendliches, schnurgerades, mit Bäumen gesäumtes Band durch die gewaltige Ebene zog, ein unabsehbares Stoppelfeld, in dem nur hier und da Strohdiemen und hölzerne Windmühlen mit ihren sich im Winde drehenden Flügeln eine Erhöhung bildeten. Weiter nach Norden zeigten Telegraphenstangen andere Straßen an, auf denen man andere marschierende Regimenter als dunkle Linien erkennen konnte. Viele zogen auch in tiefen Massen quer durchs Feld. Eine Kavalleriebrigade trabte vorn links funkelnd im Sonnenschein dahin. Und der ganze leere Horizont in seiner traurigen, schrankenlosen Weite belebte sich, bevölkerte sich mit diesen von überallher zusammenströmenden Menschenbächen, diesen unversiegbaren Zugstraßen eines Riesenameisenhaufens.
Gegen neun Uhr verließen die 106er die Straße nach Châlons, um die links nach Suippe führende einzuschlagen, ein anderes schnurgerade in die Unendlichkeit verlaufendes Band. Sie marschierten in zwei getrennten Säulen und ließen die Mitte der Straße frei. Hier bewegten sich allein die Offiziere nach Gutdünken; aber Maurice bemerkte, daß sie sorgenvoll aussahen, im Gegensatz zu der frischen Stimmung, der fröhlichen Zufriedenheit der Mannschaften, die glücklich waren wie Kinder, endlich wieder marschieren zu
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