Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
treffen. Vergeblich suchte der Apotheker ihn zurückzuhalten; er beschloß, ihn persönlich mit seinem kleinen Wagen zurückzubringen und sich auf gut Glück auf den Weg zu machen, als Fernand, sein Lehrling, erschien und erklärte, er habe nur mal seine Kusine umarmen wollen. Er war ein großer blasser Bursche von hasenfüßigem Aussehen, der nun anspannte und Maurice fuhr. Es war noch nicht vier Uhr; ein sintflutartiger Regen rauschte von dem tintenschwarzen Himmel hernieder; die Wagenlampen gingen fast aus und erhellten kaum den Weg inmitten der weiten, ertrunkenen Landschaft, die voll ungeheurer Geräusche war, so daß sie alle Kilometer anhielten in dem Glauben, eine ganze Armee zöge vorbei.
    Währenddessen hatte Jean da unten vor Vouziers überhaupt nicht geschlafen. Seit Maurice ihm erklärt hatte, wie dieser Rückzug die Lage retten werde, wachte er und verhinderte seine Leute, sich zu zerstreuen, weil er den Marschbefehl erwartete, den die Offiziere von einer Minute zur andern geben konnten. Gegen zwei Uhr tönte in der tiefen Finsternis, die die Feuer mit roten Sternen durchblinkten, ein mächtiges Geräusch von Pferden durchs Lager: das war die Kavallerie,die als Vorhut gegen Ballay und Quatre-Champs aufbrach, um die Wege nach Boult-aux-Bois und Croix-aux-Bois zu sichern. Eine Stunde später kamen Infanterie und Artillerie gleichfalls in Bewegung und verließen endlich die Stellungen von Falaise und Chestres, die sie seit zwei langen Tagen in der Einbildung gegen einen Feind verteidigten, der gar nicht kam. Der Himmel hatte sich bedeckt, die Nacht war dunkel, und jedes Regiment zog in tiefem Schweigen dahin, ein Schattenzug, der sich auf dem Hintergrunde der Finsternis abrollte. Aber alle Herzen schlugen vor Freude, als ob sie einem Hinterhalt entronnen wären. Man sah sich schon vor Paris und die Vergeltung bevorstehend.
    Jean blickte in der tiefen Nacht umher. Die Straße war mit Bäumen eingefaßt, und es kam ihm so vor, als ob sie durch weite Wiesen zögen. Dann ging es aufwärts und wieder abwärts. Sie kamen an ein Dorf, das Ballay sein mußte, als die schwere Wolke, die den Himmel verdunkelte, in einem heftigen Regen losbrach. Die Leute hatten schon so viel Wasser bekommen, daß sie gar nicht weiter ärgerlich wurden, sondern nur die Schultern hochhoben. Aber dann war Ballay durchschritten, und je naher sie Quatre-Champs kamen, desto wütender wurden die Böen. Als sie darüber hinaus auf die Hochebene kamen, deren kahles Gelände sich bis Noirval erstreckt, wurde der Orkan rasend und peitschte sie mit schrecklichen Sintfluten. Mitten in dieser Weite erging der Befehl zum Halten nacheinander an alle Regimenter. Das ganze siebente Korps, dreißig und etliche tausend Mann, fand sich hier wieder versammelt, als der Tag anbrach, ein Tag voll Schmutz und rauschendem, grauem Wasser. Was ging vor? Wozu diese Rast? Schon lief Unruhe durch die Reihen und einzelne behaupteten, die Marschrichtung wäre wieder malabgeändert. Mit dem Verbot, auseinanderzugehen und sich zu setzen, ließ man sie das Gewehr bei Fuß nehmen. Von Zeit zu Zeit fegte der Wind die Hochebene mit solcher Gewalt, daß sie sich aneinanderdrängen mußten, um nicht umgerissen zu werden. Der Regen blendete sie und machte ihre Haut schlüpfrig; eisig sickerte er unter ihren Kleidern hindurch. Zwei Stunden liefen so in unendlichem Warten dahin und man wußte nicht warum, während die Angst ihnen aufs neue die Herzen zusammenschnürte.
    Je heller es wurde, desto eifriger suchte Jean sich zurechtzufinden. Im Nordwesten hatte man ihm auf der andern Seite von Quatre-Champs den Weg von le Chêne her gezeigt, der über eine Höhe lief. Warum also wandten sie sich nach rechts, anstatt sich nach links zu wenden? Dann erregte es seine Aufmerksamkeit, daß der Generalstab sich in la Converserie, einem am Rande der Hochebene gelegenen Hofe, eingerichtet hatte. Man schien dort recht bestürzt: Offiziere liefen mit heftigen Gebärden sich unterhaltend hin und her. Und es kam doch nichts; worauf warteten sie also? Die Hochebene bildete eine Art Kreis von unendlichen Stoppelfeldern, im Norden und Osten von bewaldeten Höhen beherrscht; gegen Süden dehnten sich dichte Wälder aus, während man durch eine Lücke im Westen das Aisnetal mit den weißen Häusern von Vouziers überblickte. Unterhalb von la Converserie ragte der Schieferturm von Quatre-Champs spitz in die Höhe, wie ertränkt in der wütenden Wasserflut, unter der die paar armseligen

Weitere Kostenlose Bücher