Der Zusammenbruch
moosbedeckten Dächer des Dorfes zu schmelzen schienen. Und als Jean den Blick über die ansteigende Straße gleiten ließ, bemerkte er ganz deutlich einen kleinen Wagen auf der steinigen, in einen Wildbach verwandelten Straße in scharfem Trabe herankommen.
Es war Maurice, der endlich bei einer Wegbiegung von dem gegenüberliegenden Hügel aus das siebente Korps entdeckt hatte. Seit zwei Stunden jagte er über Land, getäuscht von den Aussagen eines Bauern, wütend über die sauertöpfische Unwilligkeit seines Begleiters, der aus Angst vor den Preußen Fieber bekam. Als er den Hof erreicht hatte, sprang er vom Wagen und fand sofort sein Regiment.
Jean schrie ganz verdutzt:
»Was, du bist da! Warum denn? Wir holen dich doch ab!«
Maurice drückte seine Wut und seinen Schmerz durch eine Gebärde aus.
»Ach! jawohl ... Wir gehen nicht mehr da hinauf, wir gehen dort unten hin und verrecken da alle!«
»Gut!« sagte der andere nach einem Stillschweigen. »Dann lassen wir uns wenigstens zusammen den Schädel einschlagen.«
Und als ob sie sich verloren gehabt hätten, fanden sich die beiden Männer in einer Umarmung wieder. Unter fortgesetzt klatschendem Regen trat der einfache Soldat wieder in die Reihen ein, und der Korporal diente ihm zum Vorbild, triefend, ohne Klage.
Aber jetzt lief die Nachricht als sicher um: es ging nicht zurück auf Paris, es ging wieder gegen die Maas. Ein Adjutant des Marschalls hatte eben dem siebenten Korps den Befehl überbracht, bei Nouart Lager zu beziehen, während das fünfte sich gegen Beauclair wendend den rechten Flügel des Heeres bilden und das erste das zwölfte in le Chêne zum Marsch auf la Besace, den linken Flügel, ablösen sollte. Wenn aber diese etlichen dreißigtausend Mann hier seit fast drei Stunden das Gewehr bei Fuß in wütenden Regenböen warteten, so verursachte das Schicksal des am Abend vorher auf Chagny vorausgeschickten Trosses dem General Douaydie lebhafteste Unruhe inmitten des Wirrwarrs dieses neuen unerwarteten Richtungwechsels. Bis der wieder zum Korps gestoßen war, mußte er warten. Es hieß, daß sein Troß bei le Chêne von dem des zwölften Korps durchquert worden sei. Anderseits kam ein Teil des Gerätes, alle Feldschmieden der Artillerie dadurch, daß sie sich im Wege geirrt hatten, von Terron über die Straße nach Vouziers wieder zurück, wo sie ganz sicher den Deutschen in die Hände gefallen wären. Niemals war die Unordnung größer und die Angst lebhafter. Unter den Soldaten herrschte daher auch wahre Verzweiflung. Viele wollten sich in dem Dreck der aufgeweichten Hochebene auf ihre Tornister setzen und im Regen auf den Tod warten. Sie verhöhnten und beleidigten ihre Führer: ach! seine Führer, ohne Hirn, die abends wieder umschmissen, was sie morgens fertiggebracht hatten, bummelten, wenn der Feind nicht da war, und ausrissen, sowie er erschien. Äußerste Entmutigung versetzte schließlich das Heer in den Zustand einer Herde ohne jede Überzeugung, ohne jede Manneszucht, die man, wie der Weg sich gerade bot, ins Schlachthaus führte. Unten in der Richtung gegen Vouziers begann Gewehrfeuer zu ertönen, zwischen den Vorposten des siebenten Korps und denen der deutschen Truppen gewechselte Schüsse; und im Handumdrehen wandten sich alle Blicke gegen das Aisnetal, wo, als der Himmel etwas aufklärte, dicke schwarze Rauchwolken aufstiegen: sie wußten, das Dorf Falaise brannte, von Ulanen in Brand gesteckt. Wut bemächtigte sich der Mannschaften. Was? Da waren nun die Preußen! Zwei Tage hatte man auf sie gewartet, um ihnen Zeit zu lassen, heranzukommen. Dann riß man wieder aus. In der Seele der Allerbeschränktesten stieg dunkel der Zorn über den nicht wieder gut zu machenden Fehlerauf, den man mit diesem blödsinnigen Warten begangen hatte, die Falle, in die man hineingelaufen war: Aufklärer der vierten Heeresgruppe verulkten die Brigade Bordas, hielten nacheinander alle Korps der Gruppe von Châlons auf und legten sie fest, um dem Kronprinzen von Preußen das Herankommen mit der dritten Gruppe zu ermöglichen. Und dank der Unwissenheit des Marschalls, der noch nicht wußte, welche Truppen er vor sich hatte, vollzog sich die Vereinigung zu eben dieser Stunde, und das siebente und fünfte Korps wurden nun dauernd von drohender Vernichtung beunruhigt.
Maurice sah am Horizont Falaise emporflammen. Aber einen Trost hatte er: der verloren geglaubte Troß tauchte auf dem Wege von le Chêne auf. Während die erste Division in Quatre-Champs
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