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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Zimmer in jedem Stock, er sich ins Gedächtnis zurückrufen konnte, als wäre er noch gestern abend drinnen gewesen. Das Eckfenster des ersten Stockes nach dem Platze hinaus war schon hell, und die Apothekerfrau erklärte ihm, das wäre das Zimmer des Kaisers. Aber, wie sie sagte, vor allem war die Küche erleuchtet, deren Fenster im Erdgeschoß nach der Rue de Vouziers herausgingen. Nie hatten die Einwohner von le Chêne ein derartiges Schauspiel gesehen. Ein ununterbrochen sich erneuernder Strom von Neugierigen versperrte die Straße und stand offenen Mundes vor diesem Herde, auf dem das Abendessen des Kaisers briet und kochte. Die Köche hatten die Fenster weit aufgemacht, um etwas Luft zu haben. Zu dritt bewegten sie sich in blendend weißen Jacken vor den auf einen Riesenbratspieß gesteckten Hühnern und rührten dieTunken in gewaltigen Töpfen, deren Kupfer wie Gold leuchtete. Die ältesten Leute erinnerten sich nicht, jemals im Silbernen Löwen, auch bei den größten Schlemmereien nicht, so ein Riesenfeuer und so viele Sachen auf einmal kochen gesehen zu haben.
    Combette, der Apotheker, ein kleiner, trockener, beweglicher Mann, kam ganz aufgeregt über alles, was er gesehen und gehört hatte, nach Hause. Er schien mit allem vertraut zu sein, da er Beigeordneter des Ortsvorstehers war. Gegen halb vier hatte Mac Mahon an Bazaine telegraphiert, die Ankunft des Kronprinzen von Preußen bei Chalons zwänge ihn zum Zurückgehen auf die festen Plätze des Nordens; eine zweite Depesche ging an den Kriegsminister ab und kündigte ihm gleichfalls den Rückzug an, indem sie ihm die schreckliche Gefahr schilderte, in der sich die ganze Heeresgruppe befinde, abgeschnitten und vernichtet zu werden. Die Depesche an Bazaine konnte ruhig laufen, wenn sie gute Beine hatte; denn alle Verbindungen mit Metz schienen seit ein paar Tagen unterbrochen. Die andere Depesche aber war ernster, und der Apotheker dämpfte seine Stimme, als er erzählte, wie er einen höheren Offizier hätte sagen hören: »Wenn die in Paris das hören, sind wir futsch!« Jedermann wußte, mit welcher Schärfe die Kaiserin-Regentin und der Ministerrat den Vormarsch betrieben. Die Verwirrung wuchs übrigens von Stunde zu Stunde; die merkwürdigsten Nachrichten über die Annäherung der deutschen Heeresgruppen liefen ein. Der Kronprinz von Preußen in Chalons, war das möglich? Und auf was für Truppen war denn das siebente Korps in den Argonnenübergängen gestoßen?
    »Im Generalstabe wissen sie nichts,« fuhr der Apotheker fort und schlenkerte verzweifelt die Arme. »Ach, was für einWirrwarr! ... Schließlich geht noch alles gut, wenn nur das Heer morgen zurückgeht.«
    Dann, da er im Grunde ein tapferer Kerl war:
    »Sagen Sie mal, mein junger Freund, ich will Ihnen Ihren Fuß verbinden, und dann essen Sie mit uns und schlafen oben in der kleinen Kammer meines Lehrlings; der ist ausgerissen.«
    Aber Maurice wollte vor allem, unter dem qualvollen Drang zu sehen und zu hören, unbedingt seinem ersten Gedanken folgen und die alte Frau Desroches gegenüber besuchen. Er war überrascht, an der Türe nicht angehalten zu werden, die bei dem Gewühl des Platzes offengeblieben und nicht einmal bewacht war. Fortwährend gingen Menschen ein und aus, Offiziere, Leute vom Dienst, und es sah aus, als hätte die Hetzjagd in der flammenden Küche das ganze Haus ergriffen. Treppenbeleuchtung gab es indessen nicht und er mußte sich nach oben fühlen. Im ersten Stock blieb er einige Sekunden mit klopfendem Herzen vor der Türe des Zimmers stehen, in dem sich, wie er wußte, der Kaiser befand; aber kein Laut ertönte aus dem Zimmer, es herrschte Todesschweigen. Oben an der Schwelle des Mädchenzimmers, in das sie sich hatte flüchten müssen, bekam die alte Frau Desroches zuerst Angst vor ihm. Aber dann erkannte sie ihn: »Ach, mein Kind, in was für einem schrecklichen Augenblick müssen wir uns wiederfinden! ... Ich hätte dem Kaiser ja gern mein Haus gegeben; aber er hat zu schlecht erzogene Menschen um sich! Wenn Sie wüßten, was sie alles weggenommen haben, und sie werden noch alles in Brand stecken, so ein Feuer machen sie! ... Er, der arme Mann, sieht ja aus wie einer, den sie wieder ausgegraben haben, und so traurig ...«
    Als der junge Mann sie dann beim Weggehen beruhigen wollte, begleitete sie ihn und beugte sich über das Treppengeländer.
    »Sehen Sie, von hier kann man ihn sehen,« sagte sie leise ... »Ach, wir sind alle verloren. Gehen Sie mit Gott, mein

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