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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sagen hatten, aber alle Offiziere haben mir wiederholt, daß es nicht weiter zurückgeht und daß der Marsch an die Maas wieder aufgenommen wird ... Alle Backöfen der Stadt haben wir eben für das erste Korps beschlagnahmt, das morgen früh hier das zwölfte ersetzen soll, dessen Artillerie gerade nach la Besace abgeht, wie Sie sehen ... Diesmal ist's Schluß, es geht in die Schlacht.«
    Er hielt inne. Auch er blickte nun nach dem hellen Fenster beim Notar hinüber. Dann sagte er mit halber Stimme in einer neugierig-nachdenklichen Stimmung:
    »Ja, was konnten sie sich erzählen? ... Es ist doch komisch, um sieben Uhr abends vor einer drohenden Gefahr zurückzugehen und um Mitternacht mit gesenktem Kopfe wieder in sie hineinzulaufen, wenn die Lage ganz dieselbe bleibt.«
    Maurice hörte unten in der kleinen schwarzen Stadt immer nur das Rollen der Geschütze, den ununterbrochenen Trab des sich gegen die Maas ergießenden Menschenstromes, den unbekannten Schrecken des morgigen Tages entgegen. Und wieder sah er auf den spießbürgerlichen kleinen Fenstervorhängen den Schatten des Kaisers regelmäßig hin und her gehen, das Auf und Ab dieses Kranken, den die Schlaflosigkeit außer Bett hielt und ihn trotz seines Leidens zur Bewegung zwang, während sein Ohr von dem Lärm aller dieser Pferde und Menschen erfüllt war, die er in den Tod gehen ließ. So hatten ein paar Stunden genügt; das Unglück war jetzt entschieden, wurde hingenommen. Was konnten der Kaiser und der Marschall sich wirklich sagen, wo sie alle beide das Unglück, in das sie hineinmarschierten, vorher wußten, wo sie abends, angesichts der fürchterlichen Umstände, in denen das Heer sich befinden mußte, von einer Niederlage überzeugt waren, nachdem sie am Morgen ihren Plan nicht mehr hatten ändern können und die Gefahr nun von Stunde zu Stunde wuchs? Der Plan des Generals Palikao, der zerschmetternde Marsch auf Montmédy, der am 23. schon verwegen, am 25. mit zuverlässigen Soldaten unter einem geistvollen Führer vielleicht noch möglich war, wurde am 27. zu einer Tat reinen Wahnsinns angesichts des fortgesetztenZauderns im Oberbefehl und der wachsenden Entmutigung der Truppen. Wenn alle beide das wußten, warum gaben sie dann den mitleidlosen Stimmen nach, die ihre Unentschlossenheit aufpeitschten? Der Marschall war am Ende nichts als eine beschränkte, gehorsame Soldatennatur, groß nur in seiner Selbstverleugnung. Und der Kaiser, der keine Befehlsgewalt mehr besaß, erwartete sein Schicksal. Man forderte von ihnen ihr Leben und das des Heeres: sie gaben es hin. Das war die Nacht des Verbrechens, die Nacht des scheußlichen Mordes an einem ganzen Volke; denn von nun an befand sich das Heer in höchster Not, waren hunderttausend Mann auf die Schlachtbank geschickt.
    Während er verzweifelt und bebend an all dies dachte, folgte Maurice dem Schatten auf der leichten Leinwand der guten Frau Desroches, dem fieberhaft hin und her gleitenden Schatten, den die unerbittliche Stimme aus Paris vorwärts zu treiben schien. Verlangte die Kaiserin in dieser Nacht nicht den Tod des Vaters, damit der Sohn herrschen könne? Vorwärts! vorwärts! ohne nach rückwärts zu blicken, durch den Regen, durch den Schmutz, in die Vernichtung, damit dieses letzte Spiel des Kaiserreiches mit dem Tode bis zur letzten Karte gespielt werde. Vorwärts, vorwärts, stirb als Held auf dem Leichenhaufen deines Volkes, zwinge die ganze Welt zu Rührung und Bewunderung, wenn sie deiner Nachkommenschaft vergeben soll! Ohne Zweifel ging der Kaiser in den Tod. Die Küche unten leuchtete nicht mehr, die Stallmeister, die Adjutanten, die Kammerherren schliefen, das ganze Haus war dunkel, während einzig und allein der Schatten ging und kam, ohne Unterlaß, ergeben in das Geschick des Opfers, unter dem betäubenden Lärm des zwölften Korps, das in der Finsternis weiter vorbeizog.
    Plötzlich dachte Maurice daran, daß, wenn der Vormarsch wieder aufgenommen würde, das siebente Korps nicht wieder durch le Chêne kommen könne, und er sah sich schon, wie er zurückgelassen, von seinem Regiment getrennt, seinen Posten verlassen hatte. Er fühlte seinen Fuß nicht länger brennen: ein geschickter Verband, ein paar Stunden voller Ruhe hatten sein Fieber niedergeschlagen. Als Combette ihm ein Paar von seinen eigenen Schuhen gegeben hatte, ein Paar leichte, bequeme Schuhe, wollte er fort, augenblicklich fort, da er hoffte, das 106. Regiment noch auf der Straße von le Chêne nach Vouziers zu

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