Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
davon ab, die Dysenterie klarer zu bezeichnen, an der der Kaiser seit le Chêne litt und die ihn zwang, in den Höfen am Wege derart haltzumachen.
    »Kurz, da stellte nun der Diener den Klappstuhl auf am Rande eines Kornfeldes, an der Ecke eines großen Busches, und da setzte der Kaiser sich hin ... Er blieb unbeweglich vornübergebeugt; wie ein kleiner Rentier sah er aus, der seine Schmerzen in den warmen Sonnenschein bringt. Mit seinem traurigen Blick sah er über den weiten Horizont, wie unten die Maas durchs Tal lief, und drüben über die Waldhügel, deren Gipfel sich in der Ferne verlieren, den Gipfel der Wälder von Dieulet links, den Kopf von Sommauthe rechts ... Adjutanten und höhere Offiziere standen um ihn herum, und ein Dragoneroberst, der sich schon bei mir nach dem Gelände erkundigt hatte, machte mir schon ein Zeichen, ich sollte nicht weggehen. Da plötzlich ...«
    Delaherche stand auf, denn jetzt kam er zu dem Höhepunkt seiner Geschichte und mußte etwas Gebärdenspiel mit seinen Worten verbinden.
    »... plötzlich ertönten Kanonenschläge, und man sah gerade gegenüber von dem Walde von Dieulet Granaten in hohem Bogen durch den Himmel fliegen ... Auf mein Wort! mir kam's vor wie ein künstliches Feuerwerk, das sie am hellichten Tage abbrannten ... In der Umgebung des Kaisers fingen sie natürlich an zu rufen und unruhig zu werden. Mein Dragoneroberst kam schon auf mich zugeraunt, ob ich ihm nicht genau sagen könnte, wo das Gefecht stattfinde. Ich sagte sofort: ›Das ist bei Beaumont, da gibt's gar keinen Zweifel.‹
    Er wendet sich wieder zu dem Kaiser, auf dessen Knien ein Adjutant eine Karte ausbreitete. Der Kaiser wollte nicht glauben, daß sie sich bei Beaumont schlugen. Aber, nicht wahr? ich konnte doch nur dabei bleiben, um so mehr, als die Granaten, die durch den Himmel flogen, an der Straße von Mouzon entlang immer näher kamen ... Und da, so klar wie ich Sie selbst sehe, Herr Hauptmann, da sah ich, wie der Kaiser sein blasses Gesicht nach mir herumdrehte. Ja, er sah mich einen Augenblick mit seinen trüben Augen an, die sehr trotzig und traurig aussahen. Und dann sank ihm der Kopf wieder auf die Karte und er rührte sich nicht mehr.«
    Obwohl Delaherche zur Zeit des Plebiszits glühender Bonapartist gewesen war, gab er nach den ersten Niederlagen doch zu, daß das Kaiserreich Fehler gemacht hätte. Das Herrscherhaus verteidigte er aber noch und beklagte Napoleon III., weil ihn alle Welt betröge. Wenn man ihn so reden hörte, waren die wirklichen Urheber unseres Unglücks niemand anderes als die republikanischen Abgeordneten der Minderheit, die verhindert hatten, daß ihm die nötigen Mannschaften und Vorschüsse bewilligt wurden.
    »Und ging der Kaiser nach dem Hofe zurück?« fragte Hauptmann Beaudouin.
    »Wirklich, Herr Hauptmann, das weiß ich nicht, ich habe ihn auf seinem Klappstuhl sitzen lassen ... Es war Mittag, die Schlacht kam näher, und ich fing an, mir Gedanken über meinen Rückweg zu machen ... Alles, was ich weiter sagen kann, ist, daß ein General, dem ich Carignan von weitem in der Ebene zeigte, ganz verdutzt schien, als er merkte, daß die belgische Grenze da drüben in ein paar Kilometer Entfernung läge ... Ach, der arme Kaiser, der hat tüchtige Leute!«
    Gilberte lächelte; sie beschäftigte sich mit dem Hauptmann und fühlte sich so wohl wie in ihrem Witwengemach, in dem sie ihn ehemals empfing, und reichte ihm geröstetes Brot und Butter. Sie verlangte unbedingt, daß er ein Zimmer und ein Bett annehme; aber er weigerte sich, und sie kamen überein, daß er sich nur ein paar Stunden auf dem Sofa im Zimmer Delaherches ausruhen solle, ehe er wieder zu seinem Regiment ginge. In dem Augenblick, als er aus den Händen der jungen Frau den Zuckertopf nahm, sah Frau Delaherche, die die Augen nicht von ihnen abwandte, ganz deutlich, wie sie sich die Finger drückten; nun zweifelte sie nicht länger.
    Da trat ein Dienstmädchen ein.
    »Herr, unten steht ein Soldat, der nach der Wohnung von Herrn Weiß fragt.«
    Delaherche war nicht hochmütig, wie es hieß; er liebte es, sich mit den Geringen dieser Welt zu unterhalten, denn er neigte dazu, sich durch solches Schwatzen volkstümlich zu machen.
    »Weiß, Wohnung, wart' mal! das ist doch komisch ... Lassen Sie den Soldaten mal reinkommen.«
    Jean trat herein, so erschöpft, daß er schwankte. Als er seinen Hauptmann mit zwei Damen bei Tische sah, kam eine leichte Überraschung über ihn, und er zog die Hand zurück, die

Weitere Kostenlose Bücher