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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Menschen und Tiere vollständig in Deckung sein.
    »Wahrhaftig, Sire, das ist Torheit ... Sire, wir flehen Sie an ...«
    Er wiederholte nur seine Handbewegung, wie um anzudeuten, die Anwesenheit einer Gruppe von Uniformen auf dieser nackten Straße werde sicherlich die Aufmerksamkeit der Batterien auf dem linken Ufer auf sich ziehen. Und ganz allein ging er unter dem Kugel- und Granatenregen, ohne sich zu beeilen, weiter vor immer mit derselben trüben, gleichgültigen Miene, als ritte er seinem Schicksal entgegen. Zweifellos hörte er hinter sich die erbarmungslose Stimme, die ihn vorwärts trieb, den Ruf aus Paris: »Vorwärts! vorwärts! stirb als Held auf dem Leichenhügel deines Volkes. Zwinge die ganze Welt zu Rührung und Bewunderung, auf daß dein Sohn herrschen möge!« Er ritt weiter und trieb sein Pferd mit kleinen Schritten vorwärts. Ungefähr hundert Meter ging er so noch vorwärts. Dann hielt er und wartete auf das Ende, das er suchte. Wie ein Äquinoktialsturm pfiffen die Kugeln um ihn her, eine berstende Granate bewarf ihn mit Erde. Er wartete weiter. Sein Pferd sträubte die Mähne, ihm zitterte das ganze Fell in dem gefühlsmäßigen Zurückweichen vor dem Tode, der jede Sekunde an ihnen vorbeizog, aber weder den Herrn noch das Tier haben wollte. Nach unendlichem Warten begriff dann der Kaiser in seinemergebungsvollen Glauben an das Schicksal, hier werde es sich nicht erfüllen, und er ritt ruhig zurück, als hätte er nichts weiter gewollt, als die genaue Stellung der deutschen Batterien festzustellen.
    »Sire, welcher Mut! ... Um Gottes willen, setzen Sie sich nicht weiter aus ...«
    Aber mit einer neuen Handbewegung forderte er seinen Stab auf, ihm zu folgen, ohne ihn jedoch diesmal zu schonen, da er ja auch sich selbst nicht schonte; und so ritt er nach La Moncelle hinauf, querfeldein über die nackten Felder von La Napaille. Ein Hauptmann wurde getötet, zwei Pferde brachen nieder. Die Regimenter des zwölften Korps, vor denen er vorbeizog, sahen ihn kommen und verschwinden wie eine Geistererscheinung, ohne ihn auch nur mit einem Zuruf zu begrüßen.
    Diesen Vorgängen hatte Delaherche beigewohnt. Und er zitterte vor allem bei dem Gedanken, daß, sobald er die Ziegelei verlassen müßte, er sich wieder voll im Bereich der Geschosse befinden würde. Daher zögerte er und hörte einigen abgesessenen Offizieren zu, die dageblieben waren.
    »Ich sage Ihnen, er ist glatt getötet worden. Eine Granate hat ihn mitten auseinandergerissen.«
    »Nein, ich habe ihn doch wegtragen sehen ... 'ne ganz harmlose Wunde, ein Riß im Hintern ...«
    »Wann war es?«
    »Um halb sieben ungefähr, vor einer Stunde ... Da oben dicht bei La Moncelle, in einem Hohlwege ...«
    »Dann ist er also nach Sedan gebracht?«
    »Gewiß, er ist in Sedan.«
    Von wem sprachen hie wohl? Plötzlich begriff Delaherche, daß sie vom Marschall Mac Mahon sprachen, der bei einemGange zu den Vorposten verwundet worden war. Der Marschall verwundet! Da hatten wir wieder mal unser Glück, wie der Leutnant von der Marineinfanterie gesagt hatte. Und er überlegte noch die Folgen dieses Unglücksfalles, als ein Meldereiter mit verhängten Zügeln an ihm vorbeisauste und einem Kameraden, den er erkannt hatte, zuschrie:
    »General Ducrot ist Oberbefehlshaber ... Die ganze Armee soll sich auf Illy zu sammeln, um auf Mézières zurückzugehen!«
    Der Meldereiter sauste bereits in der Ferne dahin und kam schon nach Bazeilles hinein, als das Feuer sich verdoppelte; währenddessen faßte Delaherche, voller Bestürzung über die außergewöhnlichen Nachrichten, die er so Schlag auf Schlag erfahren hatte, und angesichts des drohenden Umstandes, daß er in den Rückzug der Truppen mit hineingerissen werden könnte, den Entschluß, seinerseits bis Balan weiterzurennen, von wo er Sedan endlich ohne übermäßige Anstrengung erreichte.
    In Bazeilles raste der Meldereiter auf der Suche nach Führern, denen er die Befehle überbringen konnte, immer weiter. Und die Nachrichten flogen auch, der Marschall Mac Mahon verwundet, General Ducrot zum Oberbefehlshaber ernannt, die ganze Armee auf dem Rückzug gegen Illy.
    »Was? was heißt das?« schrie Weiß, der schon ganz schwarz von Pulverdampf war. »Jetzt sich auf Mézières zurückziehen l Aber das ist ja Wahnsinn! Nie kommen wir da durch!«
    Er geriet in Verzweiflung und machte sich Gewissensbisse darüber, daß er dies gestern gerade dem General Ducrot empfohlen habe, der nun mit dem Oberbefehl betraut war.

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