Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
befriedigt Petiot. Auch die Chance, genügend Opfer zu finden, ist gestiegen. Der Kampf der französischen Widerstandsbewegung gegen die deutsche Besatzungsmacht verschärft deren Vergeltungsmaßnahmen. Massenmorde an Geiseln sind die Antwort. Die Verfolgung der Juden eskaliert. Die Überlebenden suchen nach einem Loch im tödlichen Netz. Es heißt: Flucht in die NONO im Süden Frankreichs.
Und da ist einer, ein seriöser ehrbarer Arzt, der ihnen sichere Flucht verspricht, kostenlos, denn er ist ein Engel, voll Mitgefühl mit den Rechtlosen. Und ein Patriot, der die Deutschen haßt und verläßlich die Rettung der Todgeweihten organisiert. Es ist Dr. Petiot, dem die Verfolgten vertrauen.
Im Pelzhändler Joachim Guschinow findet Petiot sein erstes Opfer. Guschinow, ein polnischer Jude, ist schon lange in Paris ansässig und mit einer Französin verheiratet. Der zweiundfünfzigjährige Guschinow kennt Dr. Petiot seit langem, Petiots Frau hat bei ihm schon mehrmals einen Pelzmantel gekauft. Guschinow hat Angst. Und er hat Geld. Und er will nach Argentinien fliehen. Aber er zögert. Seine Frau ist viel jünger als er und nicht gefährdet wie ihr Mann und nicht gewillt, die Ungewißheit einer solchen Flucht auf sich zu nehmen. Sie möchte in Paris bleiben, den Laden weiterführen und warten, bis die Deutschen vertrieben sind und ihr Mann zurückkehren kann. Doch Guschinow fürchtet, seine Frau würde vielleicht doch nicht so lange auf ihn warten und sich mit einem anderen Mann trösten. So schwankt er seit Monaten zwischen Bleiben und Fliehen und fragt schließlich den guten Dr. Petiot vertraulich um Rat, was er tun solle. Und welch ein Wunder, Dr. Petiot gibt sich ihm als Fluchthelfer der Widerstandsbewegung zu erkennen! Guschinow kann sein Glück kaum fassen. Denn der Doktor hat ihn bald überzeugt, daß Flucht die einzige Rettung für ihn sei. Und wie er Frau Guschinow kenne, sei sie eine verläßliche Gattin, die auch ihrem fernen Mann die Treue halten werde.
Petiot teilt nun Guschinow mit, wie die Flucht vorzubereiten sei. Guschinow muß Fotos für falsche Pässe liefern und alle Wertgegenstände verkaufen, den Erlös möglichst in Gold, Devisen, Edelsteine umtauschen und in die Kleidung einnähen. Er darf nur zwei kleinere Koffer mit sich führen.
In den letzten Dezembertagen hat Guschinow alles getreu nach Petiots Anweisungen erledigt. Er besitzt genügend finanzielle Mittel, um in Südamerika Fuß zu fassen.
Mit dieser Hoffnung rüstet er am 2. Januar 1942 zum Aufbruch. Petiot erscheint in seiner Wohnung und überprüft noch einmal die Vorbereitungen. Er begutachtet die Kleidungsstücke mit dem eingenähten Gold und den Edelsteinen und Devisen. Er nickt zufrieden, dann zieht er einen Hundertfrancschein aus der Tasche und zerreißt ihn in zwei Hälften. Die eine übergibt er Guschinow, die andere seiner Frau. Wenn Guschinow sicher in Argentinien angekommen sei, solle er als Zeichen dafür Frau Guschinow seine Hälfte zuschicken. Passen die Hälften zusammen, sei das der Beweis für die geglückte Flucht.
Petiot ist der Arzt, dem die Menschen vertrauen. Er verabschiedet sich und verspricht, am Abend Guschinow abzuholen. »Ich bringe Sie dann noch zu einem Kollegen, der Sie gegen Tropenkrankheiten impfen wird. Ohne diese Impfung erhalten Sie keine Einreise in Argentinien. Danach übergebe ich Sie einem unserer verläßlichen Schlepper, der Sie noch in derselben Nacht über die Grenze bringen wird.«
Und dann, am Abend, Guschinows schwerer Abschied von seiner Frau vor der Reise ins Ungewisse. Der Abschied wird nur erleichtert durch die Zuversicht, in letzter Stunde noch dem Tode entronnen zu sein. Die Ängste der Trennung weichen der Vorfreude auf das Wiedersehen in friedlicheren Zeiten. C'est la guerre, warum soll es mir anders ergehen, sagt Guschinow, denk an das Lied, das die Deutschen immer singen: Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, auf jeden Dezember folgt wieder ein Mai.
Mit seinen zwei Koffern geht Guschinow zum vereinbarten Treffpunkt. Petiot erwartet ihn schon. Nach wenigen Minuten erreichen sie die Rue Lesueur. Der Winter abend ist still. Verdunkelte Straßen und Häuser, kein Mensch begegnet ihnen. Vor einer hohen Mauer bleibt Petiot stehen. »Wir sind da.«
Guschinow setzt die Koffer ab. »Ist Ihr Kollege auch verläßlich?« fragt er besorgt.
Petiot zieht ein Schlüsselbund aus der Tasche und schließt das Tor auf. »Keine Angst. Ich nehme selbst die Impfung vor.«
»Aber warum haben
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