Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
unerklärlicher dumpfer Drang. . . , alles, was irgendwie mit der Tat zusammenhängt, dem Papier anzuvertrauen. Manchmal wird peinlich genau Buch geführt und eine regelrechte Bilanz des Verbrechens aufgestellt.« Denkes »Geschäftsbuch« könnte rational so erklärt werden, daß er ebenso wie ein Metzger über seine Schlachtungen Buch führte. Das aber treffe nur die bewußte Seite von Denkes Verbrechen. »Aus den Tiefen unbewußter ›primitiver‹ Seelenschichten quillt seine sadistische Urlust ins Bewußtsein des multiplen Mörders, . . . vermittelt der Anblick dieser ›Todes-Chiffren‹ dem Täter jedesmal von neuem ein Gefühl von Überlegenheit und perverser Lust.«
Noch an eine andere Seite seiner Perversion ist zu erinnern. Dr. Pietrusky fragte, ob Denke ein schwerer debiler Psychopath gewesen sei, den sexuelle Perversion zum Morden getrieben habe. Pietrusky begründete diese Vermutung damit, daß Denke Hautstücke mit Brustwarzen und aus der Schamgegend herausgeschnitten habe.
Doch es ist eher anzunehmen, daß die Hautstücke ebenso wie die Zähne seiner Opfer fetischistischen Zwecken dienten. Mit diesen Relikten blieben die toten und längst verzehrten Opfer dem Mörder gegenständlich und gegenwärtig, mit ihnen lebte er weiter unter einem Dach im Gefühl seiner schlauen Überlegenheit.
Dr. Pietrusky schrieb am Ende seines Berichtes über Denke: »Hier der duldsame, friedfertige gutmütige alte Sonderling, dort die mordgierige Bestie. Unter der Oberfläche feierten Gefühle und Gedanken Orgien. Menschen zu Dutzenden werden gemeuchelt, wie Tiere ausgeschlachtet, gewogen, zerteilt und gegessen, aus der Haut werden Hosenträger und Riemen angefertigt und getragen, genaue Listen über das Gewicht der Opfer werden angelegt, die Zahlen wie zur Unterhaltung geordnet und addiert, Zähne zu Hunderten gesondert und wie Spielmarken aufgehoben. . . Nach allem aber werden wir in Denke nicht das verabscheuungswürdige Ungeheuer sehen müssen, sondern einen Unglücklichen, der nach ehernen Gesetzen seines Daseins Kreise vollenden mußte.«
Das Grauen fasziniert nicht nur. Es verstört auch zutiefst. Dagegen suchen die Menschen eine Abwehr und finden sie im makabren Spott. So entstand damals, nach einer bekannten Operettenmelodie gesungen, der Vers:
Warte, warte nur ein Weilchen, dann kommt Denke auch zu dir mit dem kleinen Hackebeilchen und macht Hackefleisch aus dir.
Dieses Lied wurde bald auf Denke, bald auf Haarmann bezogen. Es schützte allerdings wenig vor dem mit Ekel gemischten Grauen, das die Menschen vor allen in Münsterberg und seiner Umgebung empfanden. Viele Leute scheuten sich, Fleisch und Wurst zu essen. Der Umsatz der Fleischerläden ging drastisch zurück. Kunden bedrängten die Fleischer, ob sie etwa auch von Denke Fleisch erhalten und verarbeitet hätten. Noch lange sorgten sensationelle Berichte und Gerüchte für Unruhe unter der Bevölkerung.
Dieses kollektive Angstgefühl verwundert nicht. Heute reagieren die Menschen nicht viel anders auf den Rinderwahnsinn. Damals schockten innerhalb von drei Jahren drei Menschenfresser die deutsche Öffentlichkeit.
1922 wurde der vielfache Lustmörder Großmann verhaftet, der in Berlin Prostituierte ermordet, ihr Blut getrunken und von ihrem Fleisch gegessen hatte.
1924 kam der Serienmörder Haarmann vor Gericht, der ebenfalls Körperteile seiner Opfer verspeist haben soll. (Da in jüngster Zeit mehrere dokumentarische und künstlerische Darstellungen über Haarmann erschienen sind, ist sein Fall nicht in diesen Bericht aufgenommen worden.)
Im gleichen Jahr 1924 wurde Denkes Kannibalismus bekannt.
Diese drei Jahre waren in Deutschland eine Zeit schwerster sozialer und politischer Konflikte, existentieller Unsicherheit, des moralischen Verfalls, der Armut und des Hungers. Sicherlich wäre ein direkter Zusammenhang zwischen diesen Zuständen und dem Kannibalismus schwer nachzuweisen, ist aber doch zu vermuten. Das kollektive Unbewußte eines Volkes enthält auch einen geheimen Raum für die Schlachtbank eines Großmann, eines Haarmann, eines Denke.
Nicht zufällig erreichen uns heute aus Rußland Nachrichten über mehrere Fälle von Kannibalismus – den Bodensatz im Kessel sozialen Elends.
Der Trophäenjäger
An diesem Junitag 1978 sitzt der achtzehnjährige Jeffrey Dahmer am Küchentisch und starrt durch die trüben Fensterscheiben in den Garten hinaus. Ab und zu gerät sein Arm in träge Bewegung, wenn er nach der Whiskyflasche greift und sie
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