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Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.

Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.

Titel: Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pfeiffer
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Schwierigkeiten. Seine Geschwister wollten ihn entmündigen lassen. Das verstärkte sein Mißtrauen gegen sie, so daß er noch mehr vereinsamte.
    Bemerkenswert ist, wie sich Denke seiner Umwelt darstellte. Wut oder Jähzorn schienen ihm fremd zu sein. Man hielt ihn für fleißig, gutmütig und mildtätig. Bekannt war er für seine Eßlust, so daß er manchmal Vielfraß genannt wurde. Er konnte mehrere Pfund Fleisch auf einmal vertilgen.
    Der gutmütige Spott über den Vielfraß verdeckte damals die tieferen Ursachen dieser Gier. Sie ist Reaktion auf einen Mangel, Ersatz für Vermißtes, Ausfüllen einer Leere. Fressen ist Verschlingen, und das Verschlungene entschädigt den Schlinger für alle Entbehrungen, für körperliche und seelische. Wem sonst das Leben keine andere Lust zu bieten hat, der sucht Lust im Verschlingen. Essen wird zur Freß-Sucht.
    Unerklärt aber bleibt, wie Denke die Tabu-Schranke überspringen und Menschenfleisch essen konnte. Nachdem Denkes Verbrechen bekannt geworden waren, fragte der Psychologe Prof. R. Herbartz, ob sich Menschenfresserei in einem zivilisierten Land überhaupt psychologisch erklären lasse. Herbartz untersuchte den Fall aus der Sicht der Tiefenpsy chologie. Denke, so erklärte er, sei ein perverser Psychopath. Aber zwischen perversen und normalen Menschen gebe es fließende Übergänge: »Der Übergang von einem zum anderen ist kein Übertritt in die andere Gattung, d. h., das Seelenleben des Pervertierten zeigt gegenüber dem des sog. Normalen keinerlei grundsätzlich neue, beim Normalen prinzipiell unbekannte Erscheinungen.« Bei der Perversion verselbständige sich eine Seite der Libido, des Strebens nach Lustgewinn: »Perversion ist die Alleinherrschaft einer abgespaltenen Triebkomponente.«
    Diese abgespaltene Triebkomponente verwirkliche sich dann in entsprechenden Handlungen, wenn »zwanghafte Denkvorgänge willensbestimmende Kraft gewinnen«. Denkes Zwangsvorstellungen seien regressiver Natur, Regression in den Kannibalismus.
    Regression bezeichnet den Rückfall eines Individuums auf eine frühere Entwicklungsstufe. Entsprechend dem biogenetischen Grundgesetz wiederholt das Individuum verkürzt die gesamte stammesgeschichtliche Entwicklung. Das gilt nicht nur für die körperliche, sondern auch für die psychische Entwicklung. Deshalb, so Prof. Herbartz weiter, könne ein Individuum auf einen älteren Bildungsstand seiner eigenen individuellen Entwicklung oder auch auf einen früheren Zustand der menschheitlichen Entwicklung zurückfallen. Jenes nenne man Infantilismus, dieses Atavismus. Menschenfresserei sei ein solcher Rückschlag in die menschheitlichen Urzustände des Kannibalismus.
    So weit läßt sich Herbartz' Erklärung folgen. Wenn er dann jedoch den Kannibalismus mythologisch begründet, kann seine Deutung, zumindest im Fall Denke, nicht überzeugen. Herbartz verweist auf die uralte grauenhafte Furcht vor den Toten und ihrer Wiederkehr. Die Menschheit habe Abwehrmechanismen geschaffen, die eine solche Rückkehr der Toten verhindern sollen: Einsargen der Toten, Vergraben, Verbrennen. Radikalste Abwehrmaßregel sei jedoch der archaische Grundgedanke, »daß das Auffressen oder Auffressenlassen der Leiche« der beste Schutz gegen ihre Wiederkehr sei. Wie nun aber, fragte Herbartz, wenn der Tote ein Ermordeter ist? Dann wird er besonders zu fürchten sein, weil er sich bei seiner Wiederkehr rächen will. Und wie rächt sich ein Ermordeter? Indem er seinen Mörder tötet. So sei die Furcht des Mörders nun doppelt motiviert: »Er frißt den Toten nicht nur, um die Wiederkehr zu verhindern. Er frißt auch, um nicht selber gefressen zu werden.«
    Eine solche Deutung läßt sich auf Denke nicht übertragen. Denke hat nicht aus Angst vor ihrer Wiederkehr seine Opfer gefressen, sondern er hat getötet, um sie zu fressen.
    Befremdend wirkt auch Denkes Totenliste. Ohne sie wären die Anzahl seiner Morde und die Namen seiner Opfer nie genau festgestellt worden. Man sah in dieser pedantischen Buchführung nur einen besonders makabren Wesenszug des Täters. Der Psychoanalytiker Theodor Reik wies aber schon damals darauf hin, daß bei der Anfertigung einer solchen Dokumentation unbewußt »zwei seelische Kräfte um die Herrschaft ringen: die eine, welche alle Spuren der Tat verbergen will, und die andere, welche die Tat und den Täter allen zeigen möchte.« Hier kommt, wie der Polizeipsychologe Dr. R. Herren schrieb, ein irrationales Moment ins Spiel, »ein

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