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Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.

Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.

Titel: Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pfeiffer
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zum Mund führt.
    Dahmers Apathie täuscht. Der Körper ruht reglos, aber die Gedanken rasen. Sie sind so chaotisch wie der Raum, in dem Dahmer hockt. Schmutziges Geschirr türmt sich in der Spüle, leere Whiskyflaschen und Bierdosen und verschimmelte Essensreste bedecken den Tisch.
    Erneut der Griff zur Flasche, wieder ein Schluck. Der Whisky beruhigt nicht. Er heizt Dahmers Wut an. Er weiß nicht, ob es Wut ist, vielleicht Wut, die sich mit Verzweiflung mischt. Und wenn er ganz ehrlich ist: auch mit Angst. Dieser schöne Sommertag in diesem schönen Haus in dem schönen Garten – alles wirkt auf ihn wie ein einziger Hohn. Der Sommer erfreut ihn nicht, der Garten interessiert ihn nicht, und das Haus beschützt ihn nicht.
    Ich bin wie ein Zombie, denkt er, der in diesem Haus lebt wie in einer Gruft. Sie haben mich verlassen. Die Mutter hat mich verlassen, der Vater hat mich verlassen, endgültig nun, körperlich. Ich bin allein in diesem Grab. Der Vater haust in irgendeinem Hotelzimmer, und wohin die Mutter mit meinem Bruder gegangen ist, hat sie mir nicht verraten. Denken alle nur an sich, an ihre verfluchte Scheidung. Denken, der Jeff ist achtzehn, der ist alt genug, der kann sich jetzt selber kümmern. Der hat vor zwei Wochen seinen High-School-Abschluß gemacht, der soll sich endlich zu einem Studium entschließen. Wir haben unsere eigenen Probleme.
    Fort, einfach fort, lassen mich allein hier zurück. Aber allein bin ich schon immer gewesen. Der Vater war mehr in seinem Labor zu Hause als hier bei uns. Und die Mutter, die war zwar da, und war doch nicht da. Jammerte mir immer nur etwas von ihren Krankheiten vor, keinen Schlaf, keinen Stuhlgang, Kopfschmerzen. Drückte sich wochenlang im Bett herum, lief von einem Psychiater zum anderen, verfolgte im Auto Ufos, die über ihr kreisten. Und ewig der Streit zwischen den Eltern, hysterisches Geschrei oder verbohrtes Schweigen. Wer von den Schulkameraden kam schon gern zu mir in dieses Haus.
    Allein, immer allein.
    Das heißt, ganz allein war ich nie. Ich hatte ja meine Tiere. Diese armen toten Tiere, die ich draußen auflas, überfahrene Katzen auf der Straße, verendete Mäuse, aufgedunsene Fische im Teich, Kadaver in den Mülltonnen. Alle diese stillen Toten, die ich gesammelt habe. Und abgehäutet und die Knochen ausgelöst und mit Säure gereinigt. Die Überreste ordentlich im Garten begraben. Die Knochen in Säckchen aufbewahrt. Wenn ich sie schüttelte, rasselten sie geheimnisvoll. Die Knochen, das ist das Unvergängliche, das nicht verwest. Das mir erhalten bleibt, das ich immer wieder betrachten kann, das mir Gesellschaft leistet, wenn ich allein bin. Das sind immer die wirklich schönen Stunden gewesen. Die Toten belästigen mich nicht wie die Mutter mit ihren Wehwehchen und der Vater mit seinen Zukunftsplänen für mich.
    Und die Klassenkameraden mit ihrem banalen Geschwätz.
    Dahmer springt plötzlich auf, stürzt in den Garten hinaus, ergreift einen abgebrochenen Ast und schlägt ihn gegen einen Baum, bis er zersplittert. Dann läßt er sich ins Gras nieder und lehnt sich an den Stamm. Was tun? Wieder so ein öder Tag. Baden fahren? Allein? Keine Lust. Zu nichts Lust, nicht zum Aufräumen, nicht zum Lesen, nicht zum Blumengießen, zu nichts. Ins Auto setzen und durch die Gegend fahren, damit die Zeit vergeht. Und ich den Frust am Gaspedal abreagieren kann.
    Er holt den Wagen aus der Garage, fährt aus dem Grundstück heraus, sucht einsame Straßen in der Hügellandschaft Ohios. An einem Imbißstand holt er sich einen Hamburger und eine Büchse Bier, fährt weiter, wendet am frühen Nachmittag, um wieder nach Hause zu fahren, das kein Zuhause ist. Er hat Angst vor dem menschenleeren Haus. Und vor dem nächsten Tag, der ebenso trist sein wird wie der heutige. Und vor den nächsten Wochen. Irgendwann wird der Vater wieder auftauchen und ihn drängen, sich an einem College anzumelden. Er wird ihm vorwerfen, daß er sich für nichts entscheiden wolle und könne. Er wird ein Dutzend Vorschläge machen, was Jeff seiner Meinung nach studieren sollte. Er wird sich verpflichtet fühlen, Jeff wieder irgendein lächerliches Hobby aufzudrängen, damit er sich sinnvoll beschäftige. Er wird ihn wegen seiner Sauferei rügen, er wird. . . Jeff kennt das alles, das alles widert ihn an, diese periodisch hektischen Bemühungen seines Vaters um ihn, nachdem sich der Vater wieder wochenlang nicht um ihn gekümmert hat. Den treibt doch dann sowieso nur sein schlechtes

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