Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.

Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.

Titel: Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pfeiffer
Vom Netzwerk:
spaziert der fünfundsechzigjährige Uhrmacher Adolf Seefeldt in Schwerin über den Jahrmarkt, der trotz Schnee und Kälte heute stattfindet. Seefeldt liebt Jahrmärkte. Jeder geht seinen eigenen Vergnügungen nach und achtet nicht auf den anderen neben sich an der Würstchenbude oder beim Losverkäufer. Niemand auch achtet auf den unscheinbaren Mann im schwarzen Mantel mit dem breitkrempigen Hut, der anscheinend ziellos zwischen Gespensterbahn, Zaubersalon und Karussells umherschlendert. Aber nicht diesen Belustigungen gilt sein Interesse. Sein Interesse richtet sich auf anderes. Der Jahrmarkt ist ein Magnet für Kinder. Deshalb liebt Seefeldt Jahrmärkte. Weil er sich auf dem Jahrmarkt Kinder kaufen kann. Und wie billig sie sich kaufen lassen: mit einigen freundlichen Worten oder einem kleinen Geschenk. Oder mit dem Versprechen auf ein Abenteuer.
    An diesem Mittag allerdings findet Seefeldt das Angebot an Kindern recht kümmerlich. Jahrmärkte erwachen erst nachmittags zum Leben. Ruhelos schweifen seine Blicke umher. Mädchen lassen ihn gleichgültig. Er sucht Jungen. Am liebsten sind ihm die Zehnund Elfjährigen.
    Wie die Zecke sich vom Baum auf ihr Opfer fallen läßt, wenn ein Wärmestrom sein Nahen anzeigt, wird auch Seefeldts Gier durch einen Wärmestrom erregt: durch Jungen in Matrosenkleidung. Blaue Hose, blaue Kieler Jacke und Matrosenmütze – das ist der Reiz, der Unbegreifliches in Seefeldt auslöst.
    Enttäuscht beendet Seefeldt seine Rundgänge. Vielleicht sollte ich später noch einmal wiederkommen, denkt er. Er spürt Hunger und lenkt seine Schritte zur Würstchenbude.
    Und bleibt plötzlich vor der Esels-Reitbahn stehen. Hier reiten Kinder auf einem Esel, den ein Mann im Kreis herumführt. Auf dem Esel sitzt ein Junge im Sonntagsstaat: blaue Hose, blaue Bluse. Die Bänder der Matrosenmütze flattern im Wind.
    Die Zecke durchfährt ein Wärmestrom. Sie läßt sich fallen. . .
    Als der Junge die Reitbahn verläßt, tritt Seefeldt zu ihm. Ob ihm das Reiten Spaß gemacht habe, fragt er freundlich. Und ob er Tiere gern habe. Der kleine Matrose hat Tiere gem. Seefeldt will ihm ein Tier schenken. Nein, erwidert der Junge, seine Eltern erlauben ihm kein Tier. Seefeldt versteht das, Tiere machen Arbeit, Tiere kosten Geld. Aber das Tier, das er ihm geben wolle, mache keine Arbeit und koste kein Geld. Es lebe von Gras und Kartoffelschalen. Ein Kaninchen!
    Der kleine Matrose wird nachdenklich. »Hast du eins im Rucksack?«
    Seefeldt lacht. »Natürlich nicht. Wir fangen uns eins. Ich kenne einen Kaninchenbau im Wald. Kommst du mit?«
    Er nimmt den Jungen an der Hand.
    »Ich weiß nicht«, sagt der Matrose unschlüssig. Er wartet nämlich auf seinen Onkel, der ihn wieder abholen will. »Bis der Onkel kommt, sind wir längst wieder zurück«, verspricht Seefeldt.
    »Na gut, dann komme ich mit.« Vertrauensvoll läßt der Matrose seine Hand in der Hand seines Begleiters.
    »Wie heißt du denn?« fragt Seefeldt.
    »Hans-Joachim.«
    »Ein schöner Name. Und wie alt bist du, Hans-Joachim? Elf Jahre?«
    »Ja, ich werde bald elf.«
    Seefeldt nickt. Hat er also richtig geschätzt. Elf Jahre.
    Welch wunderbares Alter. So gut ging es mir nicht, als ich elf war. Der Vater versoffen. Und die Mutter mit anderen Männern davongelaufen. Eine blöde Stiefmutter. Acht Geschwister. Da war es verdammt eng. Da gab es keinen Jahrmarkt und keinen Matrosenanzug. Sonntags wie wochentags dieselben Klamotten. Als Jüngster die abgetragenen der älteren Geschwister. Scheißkindheit. Nein, etwas Leuchtendes war schon in der Finsternis. Allein die Erinnerung durchzuckt ihn heiß. Das große Erlebnis, da war er gerade elf, wie der kleine Matrose neben ihm. Die beiden Männer, die es ihm beigebracht hatten, wie man sich gegenseitig die tollste Lust verschaffen kann. Und wie sie miteinander gespielt hatten! Mit den Händen, mit dem Mund, und jedesmal der ganze Körper zu explodieren schien. Mutuelle Onanie, Päderastie, oh er kennt die gelehrten Ausdrücke für die schönste Sache der Welt, er ist ja belesen in diesen Dingen. Was er mit elf gelernt hat, das hat er nie mehr verlernt. Das hat er beibehalten in seiner kurzen Ehe, im Knast, selbst im Alter jetzt als freier Mann.
    Der kleine Matrose. In ihm erblickt Seefeldt sich selber wieder, seine Kindheit. Das Leben hat mir nichts Schönes gebracht, keinen ordentlichen Beruf, Zuchthaus jahrzehntelang, Irrenhaus, Obdachlosigkeit. Dieses Leben. Er haßt es, er haßt sich selber. Warum bin ich

Weitere Kostenlose Bücher