Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
dazu. »Ich komme mit, Onkel Ticktack!«
Wieder der gleiche Weg wie vor einer Woche mit dem anderen kleinen Matrosen. In den letzten Tagen ist das Wetter umgeschlagen, es taut.
Das Kind an der Hand, durchzieht Seefeldt ein wohliger Wärmestrom. Immer seltener, denkt er, werden die kleinen Matrosen. Immer mehr Jungen laufen in dieser schrecklichen Hitlerjugend-Uniform herum, richtig abstoßend.
Bald werde ich nirgends mehr einen Matrosen finden, und dabei sind sie die Krönung meines Vergnügens. Zärtlich betrachtet er das Kind. Er ist stolz, daß er seinen Genuß in den letzten Jahren so verfeinert hat. Wie ein Feinschmecker, der seine Speise immer köstlicher zu würzen versteht. Wie roh waren meine Bedürfnisse früher gewesen! Die Onanie in der Zuchthauszelle, die plumpe Befriedigung mit Schwulen in irgendeinem Männerlogis, in dunklen Winkeln die Lutscherei mit Strichern. Aber nun der vollkommene lange Genuß: Die Ausschau nach einem geeigneten Opfer. Anpirschen, anmachen. Überreden, entführen. Die Vorfreude, die sich stauende Erregung auf dem Weg in den Wald. Und der Wald selbst, seine stille verschwiegene Einsamkeit. Ich allein mit dem Jungen. Meine unwiderstehliche Macht. Und schließlich die Kunst, diese langsam erlernte Kunst höchster Befriedigung! Ja, er ist stolz auf sich. Und stolz auf seine Überlegenheit. Niemals hat man ihn mit dem Verschwinden der Kinder in Beziehung gebracht, nie. Er ist der Größte. Das ist auch ein Stück seiner Rache an den Polizisten und Richtern, die ihn hinter Gitter gebracht hatten. Ich bin der Größte.
Sie betreten den Wald. Die Wege sind matschig. Seefeldt stört das nicht. Er wird sein Vergnügen haben, und wenn er bis zu den Knien im Schlamm waten müßte. Das Kind an der Hand, nähert er sich derselben Kiefernschonung, die er vor einer Woche mit HansJoachim aufgesucht hatte. Ein heimatliches Gefühl erfüllt ihn, als er mit Heinz in die Schonung eindringt.
An einer halbwegs trockenen Stelle breitet er die Decke aus, läßt sich darauf nieder, zieht den Jungen an sich heran, fordert ihn auf, ein wenig zu schlafen, spricht vom Sandmännchen, das ihm gleich den Schlaf bringen wird, redet, redet, redet, bis dem Kind die Augen zufallen. . .
Zwei Kinder innerhalb einer Woche spurlos verschwunden – die beiden Vermißtenmeldungen alarmieren die Staatsanwaltschaft in Schwerin. Die durch das Tauwetter erschwerte Suche nach den Vermißten bleibt ergebnislos. Mord ist nicht mehr auszuschließen. Wird man die beiden Kinder eines Tages ebenso finden wie mehrere andere in den letzten zwei Jahren? Als Leichen im Wald?
Die Staatsanwaltschaft hat eine Liste unaufgeklärter Todesfälle seit Ende 1933 zusammengestellt. Seitdem wurden tot aufgefunden: am 18. November 1933 der zehnjährige Ernst Tesdorf bei Ludwigslust, am 4. Januar 1934 der zehnjährige Alfred Praetorius bei Rostock, am 15. Februar 1934 der neunjährige Hans Korn bei Lübeck, am 16. Oktober 1934 der fünfjährige Arthur Dill und der sechsjährige Edgar Dittrich bei Neuruppin, am 29. Oktober 1934 der siebenjährige Günther Tieke bei Oranienburg.
Die Staatsanwaltschaft vergleicht die Ermittlungsergebnisse bei diesen sechs Todesfällen und entdeckt dabei überraschende Gemeinsamkeiten.
Mit einer Ausnahme sind alle Toten inmitten von Kiefernschonungen, gut getarnt gegen alle Sicht von außen, aufgefunden worden.
In allen Polizeiberichten über die Auffindung der Leichen hieß es:
Die Toten machten den Eindruck, als ob sie schliefen und im Schlaf gestorben wären.
Anzeichen für einen gewaltsamen Tod gab es nicht, ebensowenig für ein Sexualverbrechen.
Alle Opfer trugen Matrosenanzüge.
Alle Kinder entstammten ordentlichen Familien und waren niemals von zu Hause weggelaufen.
Diese gemeinsamen Merkmale der sechs Todesfälle veranlaßt die Schweriner Staatsanwaltschaft, der Mordinspektion der Berliner Kriminalpolizei ihren Verdacht mitzuteilen, alle sechs Toten (und möglicherweise auch die beiden noch Vermißten) könnten Opfer ein und desselben Täters sein. Bei einer gemeinsamen Arbeitsberatung gelangt auch die Berliner Mordinspektion zur gleichen Ansicht wie die Schweriner Staatsanwaltschaft. Der Berliner Kriminalrat Hans Lobbes wird beauftragt, zusammen mit den Schweriner Kriminalisten die vermutliche Mordserie aufzuklären.
Gleichlaufend mit ersten Ermittlungen beschafft sich Lobbes Akten über weitere ungeklärte Todesfälle von Kindern im norddeutschen Raum. Er stößt auf drei weitere Fälle, die
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