Der zweite Gral
händigte Emmet die archivierten Ausgaben der Khartoum Monitor Sudan Vision aus, einer englischsprachigen Landeszeitung. Doch es stand nichts darin, das Emmet nicht schon wusste. Recherchen über das täglich erscheinende, ebenfalls in Englisch veröffentlichte Internet-Bulletin der SUNA, der Sudan News Agency, blieben ebenfalls erfolglos.
Zurück in seinem Hotel erwartete Emmet ein Fax aus Isfahan. Lara ließ ihm ausrichten, er solle seine E-Mails abfragen. Dringend.
Da das Sea View keinen eigenen Internet-Anschluss besaß, fuhr Emmet noch einmal in die Bibliothek. Dort las er mit Spannung, was Lara über den unerwarteten Posteingang schrieb. Anthony Nangalas Brief hatte sie eingescannt, die inzwischen entwickelten Bilder ebenfalls. All das hatte sie ihrer E-Mail als Anhang beigefügt.
Zuerst klickte Emmet den Brief an. Er las von dem Fischer Fasil Mgali und erinnerte sich, dass er bei seiner gestrigen Autofahrt am Fischerdorf Aqiq vorbeigekommen war. Es lag zwanzig oder dreißig Kilometer von Wad Hashabi entfernt.
Emmet las weiter und schüttelte gedankenverloren den Kopf. Der Sandmann des Oktopus ... was hatte das nun wieder zu bedeuten? Manchmal verschleierte die blumenreiche Sprache der Eingeborenenvölker die Wahrheit so sehr, dass man sie kaum noch erahnen konnte.
In der Hoffnung, dass die Bilder ihm weiterhelfen würden, klickte er sich durch die anderen E-Mail-Anhänge. Sie zeigten Fotos aus Wad Hashabi, allesamt Nachtaufnahmen. Trotz Dunkelheit und Grobkörnigkeit waren auf manchen Bildern klar und deutlich Männer in Tarnanzügen zu erkennen, die durch das Dorf schlichen. Die Dämonen.
Die letzten drei Fotos zeigten etwas anderes: ein Objekt, das unter einem Gebüsch lag. Zuerst hielt Emmet es für eine Art Schnitzfigur, die halb vergraben im sandigen Boden steckte. Dann aber erkannte er, dass es sich um einen Messerknauf handelte, an dessen Kopfende ein kunstvolles Emblem angebracht war: ein stilisierter Krake.
Emmet druckte die Bilder und den Brief aus und bezahlte die Rechnung. Anschließend bat er den Bibliothekar, bei der Auskunft die Rufnummer von Fasil Mgali zu erfragen, doch unter diesem Namen gab es in Aqiq keinen Anschluss.
Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als noch einmal dorthin zu fahren, dachte Emmet. Bei dem Gedanken an die defekte Klimaanlage trat ihm schon jetzt der Schweiß auf die Stirn.
Stunden später parkte er seinen Wagen am schotterbedeckten Straßenrand einer Anhöhe und stieg aus. Das Hemd klebte ihm am Rücken, die Hitze war unerträglich. Er ging zum Randder Anhöhe und ließ den Blick über Aqiq streifen. Hier gab es nichts als karge, sandfarbene Steinhäuser, rund fünfzig an der Zahl. In der Mitte des Dorfes erblickte er einen größeren Platz, auf dem ein paar Bänke standen; ein Stück weiter entfernt befand sich das felsige Ufer. Am Kai schaukelte ein einsames Fischerboot in den Wellen.
Emmet stieg über verfallene, in den nackten Stein gehauene Stufen von der Anhöhe hinunter und schlenderte zur Dorfmitte, wo er zwei alte Frauen traf, die sich mit krächzenden Stimmen unterhielten. Als sie ihn sahen, verstummten sie und beäugten ihn neugierig, wie vermutlich jeden Fremden, sofern jemand sich hierher verirrte. Kurz entschlossen ging Emmet zu ihnen.
»Fasil Mgali?«, fragte er, ohne es gar nicht erst mit Englisch zu versuchen.
Die Mienen der Frauen hellten sich auf, und sie redeten wild auf ihn ein. Als er hilflos die Schultern zuckte, bedeuteten sie ihm mit Gesten, in welche Richtung er sich halten müsse. Außerdem glaubte Emmet zu verstehen, dass der Gesuchte ein Haus am Rand des Dorfes bewohnte. Er bedankte sich mit einer angedeuteten Verbeugung. Die beiden Frauen schlugen die Hände vors Gesicht und begannen zu kichern.
Emmet ging zum Südrand des Dorfes und betrachtete die Häuser. So etwas wie Türschilder gab es in Aqiq nicht. Selbst wenn – Arabisch hätte er ohnehin nicht lesen können.
Ihm fiel ein Haus auf, das etwas abseits stand, unweit des Ufers, inmitten eines Geröllfelds aus schroffen Steinbrocken und verdorrten Sträuchern. Die Tür stand offen. Emmet beschloss, dort sein Glück zu versuchen. Er ging zu dem Haus, klopfte und warf einen Blick ins Innere, wollte es aber nicht unerlaubt betreten. Also ging er um das Haus herum, wo er einen dürren Schwarzen mit Strohhut antraf, der seinen Kahn aufgebockt hatte und dabei war, den Rumpf neu zu streichen. Als er Emmet bemerkte, stellte er den Farbeimer ab und kam ihm entgegen.
»Fasil
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