Der zweite Gral
Mgali?«, fragte Emmet.
Der Mann sagte etwas. Emmet schüttelte den Kopf zum Zeichen, dass er ihn nicht verstehe, und wiederholte: »Fasil Mgali?«
»Ich Mgali«, antwortete der Mann in gebrochenem Englisch. »Was ich kann tun?«
»Ich suche etwas«, sagte Emmet. »Eine Information. Ich möchte wissen, was der Sandmann des Oktopus ist.«
Mgali zog abwägend die Mundwinkel nach unten. »Ich nicht kennen.«
»Haben Sie mit diesem Mann gesprochen?« Emmet hielt ihm Anthony Nangalas Foto hin.
Mgali schüttelte den Kopf. »Nicht kennen. Nie gesehen.«
Das kam ein wenig zu schnell. Emmet spürte, dass Fasil Mgali ihn belog. Aber warum?
»Mister Mgali«, sagte er eindringlich. »Der Mann auf dem Foto ist mein Freund. Er wurde entführt, vielleicht sogar getötet. Und kurz bevor er verschwand, hat er mit Ihnen gesprochen. Sie sind der Einzige, der mir helfen kann. Wenn Sie etwas wissen ... bitte, erzählen Sie es mir!« Er kramte einen Geldschein aus seinem Portemonnaie und hielt ihn Mgali unter die Nase. Der Schwarze überlegte ein paar Sekunden, steckte den Schein dann in die Hosentasche und setzte sich in Bewegung.
»Sie kommen, Mister«, seufzte er. »Kommen in Haus. Da besser zu reden.«
Die kleinen, schmutzigen Fenster schirmten nicht nur das Licht, sondern auch die Hitze des Tages ab. In Fasil Mgalis Steinhäuschen herrschte angenehme Kühle.
»Sie wollen trinken?«, fragte Mgali. »Wasser? Bier?«
»Hauptsache keinen Kaffee.«
Der Schwarze holte aus einem brummenden Kühlschrank neben der Kochnische zwei Bierdosen. Eine davon reichte erEmmet, der auf einem wackeligen Holzstuhl am Esstisch Platz genommen hatte.
Nach der stundenlangen Autofahrt in sengender Hitze war das kalte Bier eine Wohltat. Emmet trank einen großen Schluck und fühlte sich sofort erfrischt.
»Mann auf Foto war hier«, begann Mgali. »Nur einmal. Derek.«
»Baxter«, ergänzte Emmet. »Derek Baxter.« Offenbar hatte Anthony hier denselben Decknamen benutzt wie im Hotel.
»Er interessieren sich für Dorf. Dorf, wo verschwinden Menschen.«
»Wad Hashabi.«
»Ja.«
Emmet zog aus seiner Hemdtasche eins der Computerbilder, die er ausgedruckt hatte, und schob es über den Tisch. »Diese Aufnahme stammt aus Wad Hashabi. Derek Baxter hat sie gemacht. Kennen Sie das Zeichen auf dem Messergriff?«
Mgali nahm das Bild in die Hand. Als er es betrachtete, blitzte Angst in seinen Augen auf. »Ja«, sagte er leise. »Oktopus.«
»Was hat das zu bedeuten? Woher stammt dieses Zeichen?«, fragte Emmet.
Die Lippen des Schwarzen bebten, als er seine Geschichte erzählte. Emmet musste sich sehr konzentrieren und immer wieder nachhaken, um aus dem bruchstückhaften Englisch schlau zu werden, doch nach und nach fügten die Teile sich zu einem Ganzen zusammen.
Der Oktopus war eine Art Wappentier des arabischen Scheichs Faruq al-Assad, der auf der anderen Seite des Roten Meers lebte, im Sudan jedoch – unweit von Aqiq – eine Raffinerie errichtet hatte. Immer wieder schickte Assad Ingenieure hierher, die in der Anlage nach dem Rechten sahen. Meist wurden die Männer mit einer Jacht nach Aqiq gebracht und später wieder abgeholt.
»Und immer dabei ist Sandmann«, betonte Mgali.
»Der Sandmann? Ich verstehe nicht.«
»Er sein groß.« Der Schwarze stand auf und hob den Arm. »So groß. Seine Haare wie Sand.«
Emmet begriff. »Er ist blond? Sein Haar hat die Farbe von Sand?«
Mgali nickte.
»Und dieser Mann kommt mit der Jacht?«
»Ja. Wenn Sandmann hier, Menschen verschwinden aus Wad Hashabi.«
Emmet genehmigte sich einen weiteren Schluck Bier, während er seine Gedanken ordnete. Das Messer auf den Bildern trug das Emblem von Scheich Assad. Hatte einer seiner Leute, vielleicht dieser ominöse Sandmann, es in Wad Hashabi verloren, als er dort auf Menschenjagd gegangen war und Anthony Nangala ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte?
Der Verdacht erhärtete sich, als Fasil Mgali berichtete, wie er eines Nachts mit seinem Segelboot vom Fischfang zurückgekehrt war und dabei gedämpfte Kinderstimmen gehört hatte. Jammervolle, wehklagende Laute. Aber da Mgali nie ohne seinen Schnaps fischen ging und zudem der auffrischende Wind die Geräusche vertrieb, war er sich bald nicht mehr sicher gewesen, ob er tatsächlich etwas vernommen hatte oder nur einer Illusion erlegen war. Erst als er am Tag darauf erfuhr, dass in Wad Hashabi erneut Menschen spurlos verschwunden waren, hatte er seine Schlüsse gezogen. Seitdem verfolgte er die
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