Der zweite Gral
einige Berühmtheit«, sagte Assad, während Ljuschkin sein nächstes Fleischstück abschnitt. »McCay ist Amerikaner. Er lehrt an der Cornell-Universität und führte unter anderem einen Versuch mit zwei Rattengruppen durch.«
»Falls Sie glauben, Sie können mir mit Ihren Schauergeschichten den Appetit verderben, täuschen Sie sich.«
Unbeirrt fuhr Assad fort: »Die eine Rattengruppe durfte über den gesamten Versuchszeitraum hinweg fressen, so viel sie wollte. Der anderen verordnete McCay eine Zwangsdiät. Sie erhielt dieselbe Menge an Proteinen, Mineralien und Vitaminen, allerdings bei stärk reduzierter Kalorienzufuhr. Diese Gruppe alterte erstaunlich langsam. Selbst nach drei Jahren – das entspricht etwa hundert Menschenjahren – befanden diese Ratten sich noch in der Wachstumsphase. Erst als McCay ihnen Normalkost verabreichte, erreichten sie ihre volle Körpergröße. Sie wurden doppelt so alt wie ihre Artgenossen, und das bei bester Gesundheit. Der andere Forscher, den ich erwähnte, ein Gerontologe namens Comfort von der Universität London, führte ein ähnliches Experiment mit Mäusen durch. Er gab seinen Vergleichsgruppen zwar dieselbe Nahrung, futterte sie aber unterschiedlich oft – die eine Gruppe täglich, die andere nur fünfmal in der Woche.«
»Lassen Sie mich raten«, sagte Ljuschkin. »Die Diät-Gruppe wurde älter.«
»Um etwa fünfzig Prozent«, antwortete Assad. »Seit ich davon weiß, halte ich mich an einen strikten Ernährungsplan: fünf Tage pro Woche esse ich kalorienarme Vollwertkost, an zwei Tagen faste ich. Ich wünschte nur, ich hätte schon viel früher damit begonnen.«
»Sie vergessen, dass Sie weder Maus noch Ratte sind. Tierversuche können nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen werden.«
»Genetisch gesehen ist die Maus dem Menschen erstaunlich ähnlich. Nicht umsonst arbeiten viele Versuchslabors mit diesen Tieren. Aber lassen Sie sich beim Essen nicht stören. In Ihrem Alter habe ich mir über meine Gesundheit ebenfalls nicht allzu viele Gedanken gemacht.«
Briggs sah, wie Ljuschkin sich demonstrativ eine weitere Gabel in den Mund schob. Er selbst fühlte sich wie ein Raucher nach einem Vortrag über Lungenkrebs. Dann aber fiel ihm ein, dass die Diskussion über Vor- und Nachteile gewisser Ernährungsmethoden sich ohnehin schon bald erübrigen würde – vorausgesetzt, Amadeus Goldmann war tatsächlich der Durchbruch gelungen.
In der Tür erschien ein Mann mit sandfarbenem Haar, auffallend blauen Augen und kantigem Gesicht. Er trug einen eleganten Anzug, hatte aber die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgeschoben, was ihm ein legeres Aussehen verlieh. Sein Gang und seine Bewegungen waren kraftvoll und geschmeidig.
Briggs wusste, wer der Mann war: Mats Leclerc. Vor einiger Zeit hatte Scheich Assad den Luxemburger angeheuert – auf Empfehlung von Amadeus Goldmann. Aber das machte ihn nicht sympathischer. Auf Briggs wirkte er wie eine Mischung aus Dressman und Raubtier.
Andererseits musste er zugeben, dass Leclerc gerade aufgrund dieser Ausstrahlung der perfekte Mann für seinen Jobwar. Er befehligte Assads private Söldnertruppe und war verantwortlich für sämtliche Sicherheitsfragen. Außerdem erledigte er die unangenehmste Aufgabe des Projekts: Er besorgte das Material, das Goldmann für die Forschungen benötigte. Niemand wäre geeigneter dafür gewesen als Leclerc.
Der Luxemburger ging auf Scheich Assad zu und sagte: »Ihre Gulfstream ist vor zwanzig Minuten aus Zürich zurückgekehrt, Hoheit.«
Assads Miene hellte sich auf. »Sehr gut!«, sagte er. »Dann ist unser Kreis bald komplett. Tun Sie mir einen Gefallen, Leclerc, und versuchen Sie, Doktor Goldmann zu finden. Er muss noch irgendwo im Laborbereich sein. Bitten Sie ihn, sich zu beeilen, damit er nach dem Essen die Fragen unserer Gäste beantworten kann.«
Leclerc verschwand aus dem Zimmer. Kurz darauf erschien eine Frau in der Tür.
»Da sind Sie ja schon!«, entfuhr es Scheich Assad. Er stand auf, ging der Frau ein paar Schritte entgegen und umarmte sie herzlich. »Ich bin entzückt, Sie nach so langer Zeit endlich wieder in meinem bescheidenen Domizil willkommen heißen zu dürfen. Wie war Ihr Flug? Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise.«
»Ihr Jet lässt keine Wünsche offen, Hoheit«, entgegnete sie. »Danke, dass Sie mir die Maschine zur Verfügung gestellt haben.«
Briggs ließ Ljuschkin den Vortritt, dann begrüßte er die Frau ebenfalls. Er musste zugeben, dass sie
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