Der zweite Kuss des Judas.
und dabei mich, aus nichts als politischer Aversion, mit fauligem Gestank überschütten.
Noch einmal spreche ich Ihnen meinen zuversichtlichen Dank aus.
Der Unterstaatssekretär (Gran. Uff Senator Artidoro Pecoraro)
p.S.
Erst gestern ist es mir gelungen, S. Exz., den Minister, davon abzubringen, im Polizeipräsidium Montelusa, das Sie so vortrefflich leiten, eine Inspektion (reine Formalität, versteht sich!) vorzunehmen.
In Augenblicken wie diesen sollen Sie keinerlei Kummer haben.
SOPRA LA BANCA PATÒ CI CAMPA SOTTO LA BANCA PATÒ CI CREPA
(»Hinterm Tresen Chef gewesen, unterm Tresen weggewesen«, stand am Morgen des 3. April 1890, geschrieben von anonymer Hand, auf einer Hauswand in Vigàta)
STATION DER KÖNIGLICHEN CARABINIERI VIGÀTA
An den
Signor Questore Montelusa
An den
Capitano Comandante d er Kgl. Carabinieri Montelusa Vigàta, den 3. April 1890
Betreff: Ermittlungen im Fall des vermissten Patò Tgb.-Nr. 323
Auf unsere Anfrage erfuhren wir von Don Gesuino Albanese, dem Kaplan bei Dekan Don Spiridione Randazzo, Folgendes:
Er selbst, Don Gesuino, hat den berühmten Jutesack am Vorabend der Aufführung Filialdirektor Patò auf dessen Bitte hin gegeben.
Patò erklärte die Bitte um den Sack mit der Behauptung, er müsse einen Ärmel des Kostüms abändern lassen, weil er zu eng sitze und ihn in den Bewegungen hindere. Er sagte Don Albanese, das sei ein Leichtes, denn für den folgenden Morgen sei wegen eines Kleides seiner Frau eine Schneiderin ins Haus bestellt.
Als er den Sack bekommen hatte, steckte er das Kostüm hinein und ging wieder.
Wir suchten Signora Mangiafico verh. Patò auf, und nachdem wir sie diesbezüglich befragt hatten, antwortete sie wie folgt: Sie habe nicht gesehen, dass ihr Gatte, als er nach Hause kam, einen Jutesack mit dem Judaskostüm dabeigehabt habe.
Er habe nie etwas von einem zu eng sitzenden Ärmel gesagt. Sie habe seit mindestens zwei Monaten keine Schneiderin ins Haus zu bestellen brauchen. Nach unserem Dafürhalten ist Folgendes denkbar: Patò sagt, er nehme das Kostüm im Jutesack mit nach Hause, doch er nimmt es nicht mit nach Hause, sondern in die Filiale der Banca di Trinacria, wo er, da die Filiale wegen der vorgerückten Stunde geschlossen und somit leer ist, das Kostüm anlegen und, was notwendig ist, in aller Ruhe seine Rolle noch einmal durchgehen kann. In der Tat hat Buchhalter Lo Forte, von uns eigens befragt, Folgendes gesagt:
Obwohl er diese Rolle seit Jahren spiele, schien Patò unter ausgeprägten Gedächtnislücken zu leiden, weswegen er häufig vergesse, was er als Judas zu sagen habe. Doch da er bei der Aufführung sehr gut gespielt habe, könne es sein, dass er seine Rolle woanders noch mal durchgegangen sei.
Wo, wenn nicht in aller Ruhe in der menschenleeren Filiale?
Das konnte er gewiss nicht zu Hause bei den Kindern, die, wie wir feststellen konnten, sehr lebhaft sind.
Aber wenn das so ist, dann fragen wir uns Folgendes: Wenn der Jutesack nur das Judaskostüm enthielt, musste genannter Sack, nachdem Patò das Kostüm angelegt hatte, um seine Rolle zu spielen, während der Aufführung logischerweise leer sein.
Aber warum hat der Entführer, nachdem er Patò in der Umkleidekammer seine zivile Kleidung hat anziehen lassen, das Kostüm wieder in den Sack gesteckt, genau wie vorher Antonio Patò?
Und warum hat er es mitgenommen, anstatt Kostüm und Sack einfach in der Kammer liegen zu lassen?
Der Maresciallo Der Polizeikommissar der Kgl. Carabinieri (Ernesto Bellavia) (Paolo Gíummàro)
KÖNIGLICHES POLIZEIPRÄSIDIUM MONTELUSA
DER POLIZEIPRÄSIDENT
An den
Commissario Vigàta
und z. Kts.
An den
Maresciallo der Kgl. Carabinieri Vigàta Montelusa, den 4. April 1890
Der Hauptmann der Kgl. Carabinieri und ich sind uns einig, dass wir, falls wir unsere Meinung zu den Artikeln zu äußern hätten, die in der »Gazzetta dell'Isola« derzeit über Sie beide erscheinen, ehrlicherweise nicht wüssten, wofür wir uns entscheiden sollten.
Wir würden in der Tat nichts dementieren, denn Ihrer Beziehung ist deutlich anzusehen, dass Ihre persönliche Beziehung sich mehr als freundschaftlich entwickelt. Ihre Namen unter den Schriftstücken, die anfangs so weit auseinander lagen, haben sich allmählich immer weiter einander genähert und erscheinen mittlerweile liebevoll gepaart wie auf einer festlichen Hochzeitsanzeige. Wohlan! Es ist gut, dass Sie beide, wie man sagt, ein
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