Der Zweite Messias
angerufen. Hattest du mich vergessen, Jack?«
»Nein. Ich wollte mich nicht erinnern. Mein Leben geriet damals völlig aus dem Ruder. Ich musste Israel weit hinter mirlassen und brauchte Abstand zu allem, was mich an die Zeit erinnerte, die ich dort mit meinen Eltern verbracht hatte, bis ich den Verlust einigermaßen überwunden hatte.«
Lela strich ihm über die Wange. »Ich habe oft gedacht, ich hätte dir damals vielleicht helfen können, mit alledem fertig zu werden.«
Jack lächelte freudlos. »Das musste ich alleine durchstehen. Aber ich habe oft an dich gedacht und mich gefragt, was aus dir geworden war. Ehrlich gesagt, ich habe immer gehofft, dass wir uns eines Tages wiedersehen und dass ich den Mut aufbringe, dir zu sagen, warum ich mich nicht gemeldet habe.«
»Erinnerst du dich an den Tag, als du die Asche deiner Eltern verstreut hast? Und als wir beide anschließend zum ersten Mal miteinander geschlafen haben?«
»Natürlich. Ich habe es nie vergessen.« Jack drückte ihre Hand.
»Ich auch nicht. Es hört sich vielleicht theatralisch an, aber irgendwie glaube ich, ich habe mein weiteres Leben damit verbracht, der Intimität dieses Augenblicks von damals nachzujagen.«
Jack antwortete nicht, sondern legte zärtlich eine Hand auf ihre Wange. Lela strich mit einem Finger über seine Lippen und schlang ihm die Arme um den Hals. Ihre Augen strahlten voller Leidenschaft, als Jack sie auf den Mund küsste. Sie erwiderte den Kuss, während Jack ihr den Bademantel auszog und mit den Händen ihren Körper erkundete. Er küsste ihren Hals und ließ die Lippen über ihre Brüste wandern. Sie stöhnte und genoss seine Zärtlichkeiten, während ihre Finger über seine Brust strichen und immer tiefer wanderten.
Schließlich zog Jack sie aufs Bett. Gerade als Lela sich auf den Rücken legte und die Beine um seine Hüften schlang, klingelte das Telefon neben dem Bett.
92.
R OM
9.15 U HR
An diesem Morgen besichtigten Touristenscharen die Ruinen des Kolosseums. Trotz des Regenwetters waren Hunderte aus den Reisebussen gestiegen, die am Bordstein parkten.
Julius Weiss, Chef des israelischen Geheimdienstes, drückte einem Straßenverkäufer ein paar Münzen in die Hand, nahm ein Stück heiße Salamipizza entgegen und biss hinein, wobei er zur anderen Straßenseite schaute.
In dem Café hielten sich um diese Zeit nicht viele Gäste auf. Die meisten der glänzenden Metalltische, die draußen standen, waren leer. Weiss sah den kleinen, dürren Sizilianer mit den dicken Augenbrauen. Er saß allein an einem der Tische und las in der La Scala . Wie viele Geistliche machte er in Zivilkleidung den Eindruck, als würde er sich nicht wohlfühlen. Sein dunkler Anzug war mindestens eine Nummer zu groß und seit wenigstens zwanzig Jahren aus der Mode.
Weiss warf die Reste der Pizza in einen Papierkorb, wischte sich die Hände ab und näherte sich dem Café auf der anderen Straßenseite. Kardinal Umberto Cassini hob den Blick. »Julius, ich freue mich, dich zu sehen. Was möchtest du? Kaffee? Tee?«
Der Israeli setzte sich. »Etwas Stärkeres. Einen Grappa, Eis und Wasser, und eine Scheibe Zitrone.«
Cassini rief den Kellner und bestellte einen doppelten Espresso und den Grappa. »Es ist lange her, Julius«, sagte er, als der Kellner sich entfernt hatte.
»Warum hast du gerade dieses Café ausgesucht?«
Cassini schaute sich mit müden Augen um. »Ein altes Stammlokal von mir aus der Zeit, als ich noch Archäologiestudent war. Die Gäste hier konzentrieren sich so sehr darauf, das Kolosseum und die hübschen Mädchen zu bewundern, dass sie auf zwei alte Freunde, die sich unterhalten, gar nicht achten.«
Weiss nahm seine Sonnenbrille ab und putzte sie mit einem Taschentuch. »Zwei alte Bekannte, Umberto. Freunde waren wir nie«, sagte er mit trauriger Miene. »Was hast du für ein großes Geheimnis, dass ich extra aus Tel Aviv hierher fliegen musste, damit du es mir persönlich anvertrauen kannst?«
Der Kellner trat mit den Getränken an den Tisch. Julius Weiss nippte von seinem Grappa und musterte Cassini. Dessen Gesicht war von tiefen Sorgenfalten durchzogen, als wäre er in zu viele schreckliche Geheimnisse eingeweiht.
Cassini wartete, bis der Kellner sich entfernt hatte, und sagte dann leise wie ein Verschwörer: »Sag mir, welche Fortschritte ihr gemacht habt, Julius.«
»Wir haben die Frau aus den Augen verloren. Sie könnte bei Cane sein, und das macht mir Sorgen.« Weiss fügte die Details hinzu, die er von Ari
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